Das Wüten der ganzen Welt
der Tür gewiesen, diese Lügnerin! Dein Fahrrad stand dort, und sie: Aber nein, der ist nicht da. Und ich komm all die Monate, um dir zuzuhören...«
»Gestern haben wir gar nicht gespielt, Professor Edersheim und seine Frau mußten unerwartet weg.«
»Ha, also hast du da hübsch mit ihr allein gesessen, da konntet ihr ja auf mich verzichten! Was findest du bloß an dieser dürren Hopfenstange? Die kannst du auf einer Briefwaage wiegen. Denk ja nicht, ich hätte nicht am ersten Abend gesehen, daß du sofort gewaltig von ihr angetan warst. Und ich hier, ich denk die ganze Zeit, daß du ein Homo bist, weil du... na ja, ist auch egal. Wie willst du das wiedergutmachen? Das mindeste, was du tun kannst, ist, daß du mich nachher zum Essen einlädst!«
Ohne auf eine Antwort von mir zu warten, lief sie wütend davon.
»Paß auf«, sagte Jozef Zonderman, »geh nicht mit ihr aus, sie ist scharf auf kleine Jungen, sie ist ein cradle snatcher.«
Als ich um halb sechs den Praktikumssaal verließ, wartete sie schon in der Eingangshalle auf mich.
»Wohin gehen wir?« fragte sie.
Die merkwürdige Kombination aus einem vagen Schuldgefühl meinerseits und Jozef Zondermans Eifersucht brachte mich dazu, daß ich sagte: »Ist ein China-Restaurant gut genug für dich? Woo Ping vie lleicht?«
»Ist mir recht.«
Als wir uns gegenübersaßen, mit dem Blick auf den sonnigen Diefsteeg, sagte sie unerwartet liebenswürdig: »Ich hätte nie gedacht, daß es mir gelingen würde, mit dir essen zu gehen. Ich habe noch nie einen sowenig entgegenkommenden Mann erlebt, ich dachte wirklich, daß du vom andern Ufer wärst, aber nein, du stehst auf Küken, so liebe, unschuldige Mädchen, vor denen man keine Angst zu haben braucht. Vor mir hast du ein bißchen Angst, mich findest du ein Ekel, du findest mich unheimlich. Macht nichts, Angst ist gut für den Anfang; vor wem auch immer du in die Hosen machst, für den gehst du später durchs Feuer. Die Angst zu überwinden, darum geht es, das macht dich groß und stark.«
Lange blickte sie mich an, und mannhaft blickte ich zurück, während ich fieberhaft nach einer Ausrede suchte, wie wir gleich nach dem Essen getrennte Wege gehen konnten. Für eine solche Ausrede aber war ich, wie sich herausstellte, noch nicht einfallsreich genug. Demzufolge saß ich nach dem babi pangang neben ihr im Trianon auf der Hogewoerd, wo wir uns den Bergman-Film Lektion in Liebe ansahen. Nach dem Film führte sie mich in ihr Zimmer auf der Jan van Houtkade. Da vollzog sich alles so, wie es sich offensichtlich vollziehen mußte. Bevor es soweit war, tranken wir erst noch eine Flasche Rotwein zusammen, und ich erinnere mich gut, wie ekelhaft ich es fand, plötzlich die dick nachgezogenen Lippen auf meine geklebt zu bekommen, und wie überrascht ich war, daß man dann verwirrend viele Dinge auf einmal schmeckte: noch schwach den babi pangang, den Kaffee, den sie danach getrunken hatte, und die Zigarette, die sie im Anschluß geraucht hatte, und sogar den Zucker, den sie sich in den Kaffee getan hatte, und dazwischen ein Geruch, der offenbar von ihr selbst stammte und der an Intensität zunahm, als sie ihre Zunge in meinen Mund schob. Dieser Geruch war übrigens nicht unangenehm, und durch diesen Geruch kam ich erstaunlich schnell über das Gefühl des Abscheus hinweg und schaffte es sogar, ihre Zunge mit meiner in ihren Mund zurückzuschieben.
Es war ein warmer Sommerabend im Juni. Schon nach dem ersten Kuß schwitzten wir beide kräftig. Vielleicht kommt es daher, daß ich seitdem meine, Liebemachen sei eine außerordentlich feuchte Angelegenheit. Soviel ist sicher: Ohne Wasser würde nicht viel daraus werden, und ohne Schweiß, ohne den ganz normalen, ehrlichen Schweiß, wenn alle Poren triefen, ist es nicht halb so schön, kann man sich lange nicht so geschmeidig umeinander wälzen.
Mit ihren viel zu langen Fingernägeln konnte sie weder die Knöpfe meines Oberhemds noch den Reißverschluß ihres Rocks öffnen.
»Siehst du jetzt, daß du völlig ungeschickt bist mit solch langen Nägeln?« sagte ich.
»Soll ich sie abschneiden?« fragte sie, während sie ihre Hände hochhielt.
»Ich finde sie abscheulich lang.«
»Ich wollte, sie wären noch länger, so lang, daß ich wirklich überhaupt nichts mehr tun könnte, so lang, daß ich Diener und eine Kammerzofe brauchte, die mich versorgen und ankleiden müßten. Ach, ich muß einfach einen Millionär heiraten. Dann lasse ich sie wachsen, wachsen,
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