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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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alles, wofür ich stehe, wonach ich mich sehne, worauf ich hoffe?«
    Wie glücklich ist ein Mensch, der noch etwas hat, was er verleugnen kann! Hätte ich das damals doch nur gewußt. Dann wäre ich weniger elend durch die Straßen geirrt. Dann hätte ich vielleicht sogar mit einiger Genugtuung auf meine erste Liebesnacht, die eigentlich nicht einmal so unbefriedigend verlaufen war, geblickt. Dann hätte ich in jenen Juninächten vielleicht sogar häufiger das Bett mit Yvonne Kogeldans geteilt. Nun flüchtete ich, sobald die Vorlesungen und die Praktika vorbei waren, in meine Dachkammer in der President Steynstraat, um mich dort den ganzen Sommer hindurch festzugrübeln, während ich doch den Sommer viel besser in meinem Zimmer in der Hooglandse Kerkgracht hätte verbringen können. Denn sooft ich in diesem Sommer auch auf dem Weg zur Maranatha-Kerk Minderhout begegnete, es fehlte mir der Mut, ihm vor die Füße zu werfen, was ich wußte. Und wie oft ich auch in jenem Sommer meine Abende zusammen mit Alice und Herman und William und Janny in ihrem Erker verbrachte, es fehlte mir der Schneid, meine Klavierlehrerin beiseite zu nehmen, um sie mit meinen Vermutungen zu konfrontieren. Soweit ich überhaupt Mut hatte, dann nur, um meine Klavierlehrerin zu bitten, noch einmal die Kantate 104 von Bach aufzulegen. 

Witwe
     
    Anfang September bekam ich eine Karte von dem Pianohändler Goldschmeding aus Vlaardingen: »Sehr geehrter Herr Goudveyl, aus Krankheitsgründen sind wir sehr zurück mit Klavierstimmen. Von Kollege Zonderman hörte ich kürzlich, daß Sie ab und zu bei ihm vertreten. Könnten Sie mir diesbezüglich ebenfalls helfen?«
    Im goldfarbenen Licht radelte ich über den hohen Deich am Waterweg entlang nach Vlaardingen. Dort angekommen, erhielt ich von einem sich die Hände reibenden Mann mit sehr starker Brille fünf Adressen, die nach seiner Aussage »zurück« waren. So begann meine Wanderschaft von einer Adresse zur anderen, wo, wie ich sehr schnell feststellte, uralte, fast völlig abgenutzte Klaviere auf mich warteten. Offensichtlich mußten nicht so sehr Rückstände als vielmehr Problemfälle aufgearbeitet werden.
    Am ersten Tag stimmte ich mit wachsender Verzweiflung in einem Kulturzentrum und einem Cafe zwei abgewrackte Instrumente, in denen nicht einmal mehr der Holzwurm hausen wollte. Nach dem zweiten Instrument brachte ich es, obwohl es erst drei Uhr nachmittags war, nicht mehr fertig, noch zur dritten Adresse zu fa hren, sondern verschob dies auf den nächsten Tag. Hier wie bei allen folgenden Adressen warteten Klimperkästen auf mich, die es nicht einmal wert waren, verschrottet zu werden, und, schlimmer noch, wo ich, obwohl man einen Klavierstimmer bestellt hatte, aus vollgestopften Zimmern mit Plüschtapeten und Samtgardinen wieder hinausgeekelt wurde. Am Ende des Nachmittags radelte ich zu Goldschmeding, um abzurechnen. Als ich den Laden betrat, war schon ein anderer Klavierstimmer dort.
    Der sagte zu Goldschmeding: »Nein, dorthin gehe ich nicht mehr, nicht für Geld und gute Worte.«
    »Wen soll ich denn schicken?« fragte Goldschmeding. »Niemand will mehr dorthin.«
    »Also, du kannst mir Goldstaub aufs Butterbrot schmieren, ich geh nicht.«
    Goldschmeding sah mich, sagte: »Nicht zu glauben, die haben da ein so prächtiges Instrument, man braucht nur einmal dagegenzublasen, schon ist es gestimmt, und doch krieg ich niemanden dorthin... Ist das nichts für Sie?«
    »Aber warum will niemand dorthin?« fragte ich.
    »Weil du bei einer völlig verrückten Witwe landest, die darauf besteht, so was wie einen Psalm auf ihrem Klavier zu spielen, wenn du fertig bist, und anschließend einem Hündchen nachzutrauern«, sagte der Klavierstimmer.
    »Das macht doch nichts«, sagte Goldschmeding, »niemand zwingt dich, ihr zuzuhören, du sagst: ›Ich muß noch zu zwei anderen Adressen‹, und weg bist du. Und bei so einem jungen Burschen wie dir fängt sie gar nicht erst mit ihrem Hündchen an. Warum sollte sie?«
    »Nee, warum sollte sie?« sagte nun auch der Klavierstimmer, der offenbar kapierte, daß er durch mich einen lästigen Auftrag loswerden konnte.
    »Und außerdem brauchst du gar nicht so genau zu stimmen«, sagte Goldschmeding, »denn sie ist schon weit über siebzig, so gut ist ihr Gehör also gar nicht mehr.«
    »Ich glaube nicht, daß es etwas für mich ist«, sagte ich.
    »Ach, komm«, sagte Goldschmeding, »nur noch diese eine Adresse, nur noch die Witwe Vroombout, es kostet dich doch

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