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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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knurrte leise, und draußen trieben weiße Wolken über einen unwahrscheinlich blauen Himmel dahin. Sie schaute hinaus und sagte: »Es war damals auch ein solches Wetter und all die Tage danach auch, und ich wollte immer nur zurück und mein Hündchen suchen, und alle meine Brüder und Schwestern sind im Konzentrationslager gestorben... sechs Brüder... vier Schwestern, und davon hört man nie etwas, während die Zeitungen voll sind von den andern Konzentrationslagern, aber von den dreitausend Kindern, die damals in den Konzentrationslagern gestorben sind, reden sie nie. Nun, ich darf Ihnen sagen: Ich habe es meinen Jungen immer wieder erzählt, und ich habe es ihnen immer wieder erzählt, daß nicht die Moffen, sondern die Gentlemen die Konzentrationslager erfunden haben. Ja, meine Söhne wußten es, ach, sie sind nun auch alle beide tot... alle beide sind sie tot, mein Ältester ist im Krieg umgekommen, und mein Jüngster ist ermordet... sie haben meinen Jüngsten ermordet.«
    Der Bouvier bellte wütend. Sie sagte: »Ja, mach nur, bell du nur, beiß sie tot, diese Mörder!«
    »Diese Mörder?« fragte ich vorsichtig. »Waren es denn mehr als einer?«
    Sie hörte nicht zu, sie streichelte ihren Bouvier, sie sagte: »Diese Mörder! Und ich habe der Polizei noch gesagt... ich habe ihnen gesagt, wer es war. Aber sie wollten mir nicht glauben, die Polizei wollte mir nicht glauben. Die denken immer nur, daß das Böse von einer Seite kommt, wobei es doch so deutlich ist...«
    »Was ist denn so deutlich?« fragte ich.
    »Fall mir doch nicht immer ins Wort, junger Mann«, sagte sie, »es ist doch so deutlich... mein Sohn, er war auch bei der Polizei... im Krieg schon... und er wußte, daß sie unseren Hof in Brand gesteckt haben... daß sie vor nichts zurückschrecken... vor nichts... er wußte es, und er hat danach gehandelt, und darum haben sie ihn ermordet... niemand kann mir das ausreden, deshalb haben sie ihn ermordet, aber die Polizei will mir nicht glauben... na ja, dann glauben sie mir eben nicht. Wirklich, sie schrecken vor nichts zurück! Mein ältester Sohn... hätte er nur auf mich gehört, aber auch er war eigenwillig, wollte sie in das Land bringen... ›Tu das nicht‹, sagte ich, ›aber ich kriege eine Menge Geld dafür, Mutter‹, sagte er... eine Menge Geld? Niemals haben sie gezahlt, und mein Sohn war seinen Kutter los... und mein Jüngster hat ihnen jahrelang Briefe geschrieben, um ihnen klarzumachen, daß sie noch nicht gezahlt hätten... jedes Jahr, wenn es Weihnachten wurde, schrieb er ihnen wieder... schrieb er, daß sie noch Schulden hätten, nicht gezahlt hätten... schrieb er, daß wir durch ihre Schuld unser Schiff verloren hätten... schrieb, daß sie uns dafür entschädigen sollten... schrieb, daß sie, wenn sie das nicht wollten, zumindest ihre Überfahrt bezahlen sollten... Aber nein, nichts, niemals haben sie bezahlt, und dann hatten sie offenbar genug von seinen Briefen, da haben sie ihn ermordet, aber die Polizei will mir nicht glauben... Einmal ist hier so ein Mann mit seinem Söhnchen gewesen... Ach, das Kind... mein Hund war verrückt auf das Kind, hat sein Schnutchen und seine Hände ganz und gar abgeleckt... aber dieser Mann... wollte mir nicht glauben, hatte doch das Kind bei sich, dieses Söhnchen, hätte es daher doch besser wissen müssen, aber wollte mir nicht glauben... sagte zwar immer, er würde das untersuchen, aber ic h konnte es seinen Augen ansehen, daß er mir nicht glaubte.«
    Sie saß eine Weile reglos da und starrte in den blauen Himmel. Auch ihre Hände lagen jetzt bewegungslos auf dem Tisch. Es schien, als hätte sie längst vergessen, daß ich noch da war. Sie wandte sich mir auch nicht zu, als sie ihren Monolog fortsetzte. Sie wandte sich jemand anderem zu, sie sagte: »Du weißt es doch auch... wie sie waren... sie fielen in unser Land ein und haben dann alle Gehöfte verbrannt. Frauen und Kinder haben sie in Lager gesteckt, und die Kinder sind dann fast alle gestorben... nur ich... warum ich... begreifst du denn, daß ich noch lebe... alle meine Brüder und Schwestern sind da gestorben... wirklich, du weißt doch auch, wie sie waren... Schafe ins hohe, knochentrockene Gras und dann das Gras in Brand... so waren sie... und mein Hündchen... ach, dieses Hündchen...«
    Der Bouvier sprang auf, legte mir seine Pfoten auf die Schultern, sah mich an, und sein Schwanz schlug wild hin und her.
    »Geh weg, Hund!« sagte ich. Die gebrechliche alte Dame blickte mich an,

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