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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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bedeuten? Würde mir nun endlich enthüllt werden, worauf William angespielt hatte: Daß mein Vater im Krieg ein Verräter gewesen war? Ob sie deshalb am Ende des Krieges umgezogen waren?
    »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, sagte mein Vater.
    »Am Anfang«, sagte meine Mutter.
    »Am Anfang? An welchem Anfang?«
    »Mit dem Umzug.«
    »Nennst du das den Anfang?«
    »Ja.«
    Es war, als gäbe mir dies eine Wörtchen »Ja«, das in so verzweifeltem Ton ausgesprochen wurde, eine Ahnung davon, was mich erwartete.
    Mein Vater schnalzte mit der Zunge.
    »Ja, dieser Umzug«, sagte er, »wir konnten damals alles, was wir hatten, noch gerade auf diesem einen Karren unterbringen. Es war alles zusammen herzlich wenig, und unsere hit... unsere dubbele hit...«
    »Ja, diese hochbeinige Mähre, was war das doch für ein munteres Tierchen«, sagte meine Mutter.
    »Also, ich habe seitdem nie wieder so eins gesehen, es reagierte prompt auf den kleinsten Ruck am Zügel, das war ein helles Tierchen, heutzutage sieht man so was überhaupt nicht mehr.»
    »Also der Umzug...«, sagte ich.
    »Siehst du wohl«, sagte mein Vater, »er weiß es schon. Ich sagte es dir doch im Zug, wir brauchen ihm überhaupt nichts mehr zu erzählen, er weiß es längst, er hat doch einen goldenen Verstand.«
    »Er weiß es noch nicht«, sagte meine Mutter. »Ich kenne ihn gut genug, um von seiner Stirn ablesen zu können, daß er es noch nicht weiß, jedenfalls nicht genau.«
    »So genau braucht er es auch überhaupt nicht zu wissen«, sagte mein Vater, »und demnächst sitzt er doch im Busch, also...«
    »Konntet ihr damals so einfach umziehen?« fragte ich.
    »O ja, du, es war das beste, sich ganz normal zu verhalten, einfach so zu tun, als wären die Moffen gar nicht da. Dann hattest du kein bißchen zu leiden. Du hattest keinen Ärger mit ihnen, wenn du dich auf Abstand zum Untergrund hieltest, auf Abstand zur Widerstandsbewegung. Und unsere Sorte Mensch, einfache arme Krauter, also, die übersahen die einfach. Du konntest einfach leben, wie du schon immer gelebt hattest. Der Krieg - das war doch eigentlich was für reiche Leute, das ging uns eigentlich nichts an, unsereiner war immer arm gewesen, mußte schon immer jeden Cent dreimal rumdrehen. Wir haben sozusagen beinahe nichts davon gemerkt. Wir wollten auch nichts damit zu tun haben, verstehst du, und daher war... daher hatte... Ich will es dir mal ganz deutlich sagen: Als wir umzogen und alles nach draußen trugen, war da gerade was los, irgendso eine Razzia, die Moffen rannten die ganze Zeit hin und her, aber wir konnten einfach weitermachen, wir konnten damals nur nicht am Tag aus der Stadt raus, alles war hermetisch abgeriegelt, wir konnten erst spätabends mit Sack und Pack wegfahren. Und Vroombout...«
    »Vroombout?«
    »Ja, der arbeitete damals bei der Polizei in Rotterdam, der half auch mit bei der Razzia.«
    »Also stimmt es, daß Vroombout ein Verräter war im Krieg.«
    »Ach was, der war nur ganz normal bei der Polizei, der tat einfach, was seine Vorgesetzten ihm befohlen hatten.«
    »Dein Wasser verkocht«, sagte meine Mutter.
    Ich stand auf, lief zu meinem Alkoven. So sahen sie es also - Vroombout war kein Verräter gewesen, sondern hatte getan, was die Besatzungsmacht ihm befohlen hatte. Und sie selbst?
    »Es kam sehr zupaß, daß wir gerade an dem Tag umzogen«, sagte mein Vater, während ich mit meinem Nescafe zum Bett hinüberging, »wir haben zu niemandem damals ein Sterbenswörtchen davon gesagt, und weil wir von beiden Seiten keine Familie und nichts hatten, hat auch niemand dumm geguckt. Wir kamen dann zu dritt in der President Steynstraat an, und niemand hat sich darüber gewundert.«
    »Womit sie in der President Steynstraat Probleme hatten...«, sagte meine Mutter.
    »... war, daß wir das Geschäft von dem Trödeljuden übernommen haben«, sagte mein Vater, »aber nun, wir konnten da so einsteigen, das war sozusagen ein gemachtes Bett, und wir konnten doch wirklich nichts dafür, daß die Moffen den Lumpenjuden und seine Frau mitgenommen haben, da haben wir doch wirklich nicht unsere Hand mit im Spiel gehabt.«
    »Und doch haben sie uns das im Hoofd sehr krummgenommen«, sagte meine Mutter.
    »Ja, sie haben uns vor allem zu Anfang deswegen schief angesehen«, sagte mein Vater, »und noch immer werden wir hier und da deswegen verdächtigt, in der Paul Krugerstraat wohnt einer, der...«
    »Und das, wo wir doch...«, sagte meine Mutter.
    »Ja, aber, na ja, das wußten sie

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