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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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jemals zu kommen. Nun jedoch schlurften sie da unten über die Gracht, und bei jedem Schritt hätten sie am liebsten kehrtgemacht. Meine Mutter schleppte eine riesige Einkaufstasche. Mein Vater trug seinen Schlapphut, der vom zweiten Stock aus dem Hut des Mannes, der Vroombout ermordet hatte, täuschend ähnlich sah.
    Es wurde Zeit, nach unten zu gehen. Ich wollte es ihnen ersparen, daß sie klingeln mußten und meine Vermieterin die Tür öffnen würde. Darüber würden sie bestimmt erschrecken. Dennoch zögerte ich, schaute noch immer verbittert auf die beiden hinunter, wie sie da so langsam über das Kopfsteinpflaster näher kamen. Warum hatte ein Mensch Eltern? Warum riefe n sie, wie sie so dahinschlurften, derartig gegensätzliche, einander widerstreitende, schmerzliche Gefühle in einem hervor, Erbarmen und Entsetzen, Mitleid und Abscheu, Anhänglichkeit und Wut? Es war, als müßte die Zuneigung im selben Augenblick von Gefühlen begleitet werden, welche diese Zuneigung wieder zunichte machten. Liebe wurde zu Groll, Anhänglichkeit zu Ablehnung.
    Hastig lief ich, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter. Schnell öffnete ich die Haustür. Sie sahen mich, runzelten die Stirn, ihr Schritt wurde schwerer.
    »Nun, nun«, sagte mein Vater, »ein schönes Haus ist das, in dem du wohnst, aber ich kapier nicht, daß man hier kein Geld für ein anständiges Pflaster hat.«
    Sie kamen die Stufen hinauf. Dabei hielten sie einander fest, als bestiegen sie das Schafott. Sie hoben die Füße hoch und gingen über die Schwelle. Auf der Treppe zum ersten Stock blieben sie eingehakt, so unpraktisch das auch sein mochte. Immer wieder wurden sie zwischen Treppengeländer und Wand eingeklemmt. Auf der engen Treppe zum zweiten Stock mußten sie sich loslassen. Mein Vater ging voraus, meine Mutter folgte dicht hinter ihm.
    Als sie endlich in meinem Zimmer standen, sagte mein Vater: »Es ist aber verflixt kalt hier.«
    »Ja, ich habe leider keinen Ofen«, sagte ich.
    »Macht nichts«, sagte meine Mutter, »behalten wir einfach unsere Mäntel an.«
    »Setzt euch doch«, sagte ich.
    »Es sind nur zwei Stühle da«, sagte mein Vater, »wo willst du denn deinen Achtersteven hinfallen lassen?«
    »Aufs Bett«, sagte ich trocken.
    »Es scheint mir hier ganz hübsch feuergefährlich zu sein«, sagte mein Vater.
    »Dies Haus steht schon seit 1608, und es hat noch nie einen Brand gegeben«, sagte ich.
    »Was nie war, kann noch werden«, sagte mein Vater.
    »Soll ich 'ne Tasse Kaffee machen?« fragte ich.
    »Ach wo«, sagte meine Mutter krampfhaft lustig, »wir haben unseren eigenen Kaffee mitgebracht.«
    Sie holte eine Thermoskanne aus ihrer riesigen Tasche. Sie stellte eine zweite Thermoskanne daneben.
    »Die zweite Tasse Kaffee«, sagte sie. Neben die zweite Kanne stellte sie noch eine dritte. »Warme Milch für den Magen deines Vaters«, sagte sie.
    »Wir haben auch unsere eigenen Butterbrote mitgebracht«, sagte mein Vater, »wir wollen dir auf keinen Fall zur Last fallen.«
    Meine Mutter stellte zwei Butterbrotdosen neben die Kannen.
    »Ich hol eben Tassen«, sagte ich.
    »Nix von nötig«, sagte meine Mutter, »ich habe Becher mitgebracht. Sonst sitzt du nachher mit einem ganzen Schwung Abwasch da.«
    Meine Mutter wühlte in den Tiefen ihrer Tasche, holte zwei Becher heraus, schraubte den Verschluß der einen Thermoskanne auf und goß ein durchsichtiges, vor lauter Milch fast weißes Getränk in die Becher. Es dampfte.
    »Ich habe auch Kekse mitgebracht«, sagte meine Mutter.
    Sie tranken ihren Kaffee. Meine Mutter bot mir nichts an. In meinem kleinen Alkoven, in dem ich einen zweiflammigen Gaskocher stehen hatte, setzte ich Wasser auf. Für mich würde ich dann also einen Nescafe machen.
    Mein Vater nahm seinen Hut ab, strich sich über den Kopf, schaute mich an, streichelte den Rand seines Hutes, schaute, während er die Lippen spitzte, meine Mutter an. Sie runzelte die Augenbrauen und sagte: »Nun mal los!«
    »Ich finde es irgendwie verflixt schwierig«, sagte mein Vater.

    »Nun mach schon!«
    »Kannst du es nicht sagen, du hast die Worte immer viel besser finden können als ich.«
    »Nein, damit fange ich gar nicht erst an, du wolltest endlich mal damit überkommen. Du hast mich nicht sagen hören, daß es sein müßte, aber ich kann es schon verstehen, daß du es allmählich notwendig findest, aber dann mußt du es mir nicht aufhalsen, zu...«
    »Nee, nee, schon gut.«
    Erstaunt hörte ich ihnen zu. Was hatte das zu

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