Das Wunder der Liebe
bleiben würde ihn nur verweichlichen. Und er musste sich stählen und seine Sinne schärfen. Vergeltung war das einzige Gefühl, das er sich erlauben durfte.
Ja, es wurde Zeit zu verschwinden.
Wo war seine Kleidung? Er sah sich im Zimmer um. Ein großer handgewebter Teppich lag über den Holzdielen. Eine antike Tiffany-Lampe stand auf dem Nachttisch. Diese Farm erinnerte ihn außerdem viel zu sehr an die Farm seiner Großeltern irgendwo im Hinterland von Wisconsin. Die Sommer, die er dort verbracht hatte, waren die schönsten und glücklichsten seines Lebens gewesen.
Doch Keegan wollte sich nicht erinnern. Gute Erinnerungen erhöhten nur noch das Gefühl für den Verlust, den er erlitten hatte. Er wollte allein bleiben, abgeschnitten von den Dingen, die ihn wieder menschlich machen würden. Die Welt kalt und gefühllos zu betrachten war der einzige Weg, mit dem Schmerz, den er erlitten hatte, fertig zu werden. Keegan blinzelte und schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. In seinem Leben gab es keinen Platz für Gefühle. Nicht jetzt. Nie mehr und nie mehr.
Er entdeckte seine Jeans und seinen Pullover, die beide ordentlich gefaltet über der Lehne eines Sessels hingen. Sein alter Rucksack lag auf dem Sitz, Hut und Jacke obendrauf.
Keegan sah auch die Spitzen seiner Stiefel unter dem Bett hervorschauen. Alles war da. Außer seiner Magnum.
Hoffentlich würde Wren ihm die Waffe zurückgeben, wenn er sie vor dem Verlassen des Hauses höflich fragte. Wenn sie ihm seine Bitte verweigerte, dann würde er schwierige Zeiten durchstehen müssen, um erneut an eine Waffe zu gelangen.
Keegan fuhr sich mit der Hand über das glatt rasierte Gesicht und dachte daran, wie sanft Wrens Berührungen gewesen waren, als sie mit dem Easierer über seine Haut fuhr. Warum dachte er jetzt daran? Seine Gedanken sollten einzig allein mit seiner Aufgabe beschäftigt sein und nicht mit solch romantischem Unsinn.
“Du musst hier raus”, brummte er. “Bevor Wren dich noch auf Gedanken bringt, die du auf keinen Fall haben solltest.”
Hast du Angst, sie könnte dich auf den Gedanken bringen, dass du noch einmal für einen anderen Menschen etwas empfinden könntest? fragte eine innere Stimme herausfordernd.
Ja. Genau. Deshalb musste er gehen. Er konnte es sich nicht leisten, irgendetwas anderes außer Dankbarkeit für sie zu empfinden.
Keegan legte beide Hände auf die Lehne des Sessels und stemmte sich hoch. Er war erstaunt, wie viel Kraft es erforderte, aufzustehen. Die Decke, die Wren um ihn gelegt hatte, fiel zu Boden, aber er besaß nicht die Kraft, sie aufzuheben.
Sein Atem ging keuchend. Ihm war so schwindlig, dass er sich sofort wieder hinsetzen musste.
Du schaffst es! Du musst dieses Haus verlassen! Du kannst Heller nicht noch einmal entkommen lassen. Nicht dieses Mal.
Nicht jetzt, wo du so nah dran bist, spornte er sich an.
Keegan wandte den Kopf zum Fenster und schaute hinaus. In der kurzen Zeit, in der er sich gewaschen hatte, war es draußen bereits fast dunkel geworden, und frischer Schnee-und Graupelregen fiel gegen das Fenster.
Komm schon, du Schwächling. Steh auf. Hör auf mit dem Selbstmitleid!
Die Stimme seines Vaters hallte in seinem Kopf wider.
Leonard Winslow, Ausbilder bei der Armee, einer, der so hart wie Stahl war und nie Gefühle zeigte. Es war schwierig gewesen, als Sohn eines Ausbilders großzuwerden, aber es hatte ihn stark gemacht.
Stark genug, um das unendliche Leid zu überstehen, Frau und Kind zu verlieren. Stark genug, um Monate schmerzhafter Behandlungen und Operationen über sich ergehen zu lassen.
Stark genug, um den zu verfolgen, der sein Leben zerstört hatte.
Er hatte Dinge zu erledigen. Es gab Orte, die er aufsuchen musste. Er hatte einen Mann zu töten.
Entschlossen stand Keegan erneut auf und ging langsam zu dem Sessel hin, auf dem seine Sachen hingen. Der Pullover war sauber und duftete nach Seife. Wren. Sie hatte seine Sachen gewaschen und getrocknet, während er geschlafen hatte.
Schuldgefühle stiegen in ihm auf. Wren Matthews hatte es nicht verdient, einen Mann wie ihn beherbergen zu müssen. Er war ein verbitterter Mann, der nur an Vergeltung dachte. Die Justiz hatte versagt, also war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich das Ziel zu setzen, selbst Gerechtigkeit zu üben. Auge um Auge, Zahn um Zahn. So hatte sein Vater auch gepredigt.
Wenn Keegan daran dachte, was Heller seiner Familie angetan hatte, stieg eine unkontrollierte Wut in ihm auf. Wut, die seine
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