Das Wunder des Pfirsichgartens: Roman (German Edition)
Wasser über seine Beine floss. »Na komm schon, Willa. Trau dich!«
»Denkst du, es geht nur darum? Um Mut?«
»Ich weiß, dass du es gern tun möchtest.«
»Woher willst du das denn wissen?«
»Solange du mir nicht genau sagen kannst, was du möchtest, denke ich mir meinen Teil.« Und damit stieß er sich ein bisschen ab und rutschte auf dem glatten Felsen nach unten.
»Colin!«
Er platschte ins Wasser und tauchte kurz unter. Dann tauchte er wieder auf und schüttelte sich, sodass das Wasser aus seinen nassen Haaren spritzte. Er schaute zu ihr hinauf. »Jetzt mach schon! Es ist herrlich erfrischend.«
»Wir könnten verhaftet werden.«
Er ließ sich auf dem Rücken durchs Wasser treiben und starrte sie an. »Das hat dich doch früher nicht gestört.«
Ihre Finger zuckten bei dem Gedanken daran, wie erregend es sein würde, diesen Felsen hinunterzurutschen. In dem Moment erkannte sie, dass tatsächlich noch etwas von dem Joker in ihr steckte. Wahrscheinlich würde er nie ganz verschwinden, auch wenn es sich nur noch um einen winzigen Rest handelte. Er war zwar groß genug, um sie gelegentlich etwas Verrücktes tun zu lassen und das Bedürfnis zu stillen, ihr Herz unter einem Adrenalinschub heftig pochen zu spüren. Aber er war nicht mehr so groß, dass er sie dazu bringen konnte, das Leben zu ruinieren, das sie sich aufgebaut hatte. Plötzlich fühlte sie sich besser. Sie hatte nicht mehr so viel Angst vor sich selbst und auch nicht mehr vor Colin und vor dem, was er – wie sie dachte – über sie wusste, nur weil sie nicht den Mut gehabt hatte, es selbst zu sehen.
Es war eine absolut befreiende Erkenntnis.
Und das würde sie jetzt tun: ihre Stiefel ausziehen und sie den Felsen hinunter ans Ufer werfen. Dann würde sie über den großen, flachen Felsen in die darunterliegende Gumpe rutschen – und jeden Augenblick genießen.
Und genau so kam es.
Sie planschten und alberten ziemlich lange im Wasser herum. Dann streckten sie sich auf einem flachen Stein am Ufer aus und ließen sich von der Sonne trocknen. Seite an Seite lagen sie nebeneinander und schwiegen in wohliger Erschöpfung. Willa war sich ziemlich sicher, dass Colin sich viel darauf einbildete, sie überredet zu haben. Doch darauf wollte sie ihn jetzt nicht ansprechen. Dazu ging es ihr gerade viel zu gut. Der Stein unter ihr war warm, das sanfte Plätschern des Wassers beruhigend, der Wald roch nach Moder und Laub, nach Vergangenheit und Zukunft. Sie war zwar kein Naturkind, doch daran könnte sie sich gewöhnen.
»Ich wollte dich schon länger etwas fragen«, sagte Colin.
Willa drehte den Kopf. Seine nackte Brust war braun und straff, und er hatte die Augen geschlossen. Deshalb wagte sie es, ihn in aller Ruhe zu betrachten. Sie kannte keinen Mann, der so groß war. »Was denn?«
»Wie kommst du darauf, dass dein Vater rausgeschmissen wurde?«
Das überraschte sie. »Er hat danach nie mehr unterrichtet.«
»Ich war an dem Tag da, als er ging«, sagte Colin. »Er wurde nicht gefeuert, er hat gekündigt.«
Willa setzte sich auf. »Wie bitte?«
Colin öffnete die Augen, dann hob er einen Arm, um sie vor der Sonne zu schützen. »Als du den Feueralarm betätigt und dann das Transparent heruntergelassen hast, auf dem stand, dass du der Joker warst, tauchten gleich darauf meine Eltern auf. Sie verlangten vom Rektor, sich zu entschuldigen, weil ich seit dem Spruch von Ogden Nash, den du auf das Vordach gesprüht hattest, sein Hauptverdächtiger war. Auch dein Vater wurde reinzitiert, um sich zu entschuldigen. Er wirkte ziemlich aufgebracht und verärgert darüber, dass du von zwei Polizisten aus der Schule begleitet wurdest. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass er nicht im Zimmer des Rektors stehen und sich bei uns entschuldigen wollte für etwas, was er nicht getan hatte. Aber alle dachten, dass du nur deshalb so erfolgreich dein Unwesen treiben konntest, weil du die Schlüssel deines Dads und seine Passwörter hattest. Der Rektor sagte zu deinem Vater: ›Ich weiß, es ist nicht Ihre Schuld, dass Sie ein solches Biest von Tochter haben. Ich werde Sie nicht dafür bestrafen.‹ In diesem Moment hat dein Vater die Fassung verloren. Er meinte, wenn ich das angestellt hätte, was du gemacht hast, wäre ich nie im Leben von der Polizei abgeführt worden. Tatsächlich war wegen meiner Familie nichts gegen den Joker unternommen worden, solange alle dachten, ich wär’s. Dein Vater sagte, er sei stolz auf deine rebellischen Taten, und er
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