Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
schien sich zunächst abwenden zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. »Ist es das eigentlich wert? Haben Sie das eingeplant, als sie die Mädchen für Ihr dreckiges Spiel benutzt haben?«
»Frau Becker, so was kann jedem Mädchen passieren«, versuchte Gina sie zu beruhigen. »Gerade im Ballettbereich, da ist doch jeder zweite Tänzer homosexuell. Sophie hätte sich genauso gut in der Ballettschule in den Falschen verlieben können.«
»Dann hätte ihre Geschichte aber nicht in jeder Zeitung gestanden«, sagte Frau Becker hart. »Und neben dem Kummer hätte sie nicht auch noch diese blutdürstige Meute am Hals gehabt! Außerdem wäre sie nicht so jung gewesen. Sie ist dreizehn, Frau Landruh! Sie ist ein Kind!«
Sophie schluchzte mit jener weltumfassenden Verzweiflung, die eigentlich nur ein Teenager beim Verrat seiner allerersten Liebe empfinden kann. »Ich mache nicht mehr mit!« Sie weinte, als sie Gina und Berit sah. »Wenn MM nicht gesagt hätte, es ist okay, wäre das alles nicht passiert.«
»Nein. Dann hätte er weiterhin Mädchen das Herz gebrochen, indem er sie als Alibi benutzt hätte«, meinte Gina nüchtern. »Ich hatte gestern schon so einen Verdacht. Da wurden zu viele Blicke zwischen Vater und Sohn gewechselt. Papa Murphy achtete genau darauf, dass Sohnemann immer ein Mädchen an der Hand hatte, wenn ein Reporter in der Nähe war.«
»Er war so nett …«
»Das sind Betrüger immer«, sagte Gina herzlos. »Wir können jetzt natürlich massenhaft Entschuldigungen für ihn finden. Er brauchte ein heterosexuelles Image fürs Showgeschäft, sein Vater hat ihn unter Druck gesetzt, bei Katholiken gilt es als Sünde – aber letztlich hat er dich benutzt.«
»Was soll ich denn jetzt machen?«, fragte Sophie verzweifelt.»Ich kann doch nie wieder aus dem Haus gehen. Die Reporter wollen, dass ich was dazu sage. Und ich kann nicht … Oh, ich wünschte, das wäre nie passiert. Wenn die Murphys nicht gekommen wären, wenn ich das mit MM nicht … dann könnte ich jetzt wenigstens noch von ihm träumen …«
»Und die Reporter stünden jetzt vor der Tür eines anderen Mädchens«, meinte Berit. »Irgendwann hätte der Typ sich auf jeden Fall geoutet. Es tut mir wirklich Leid für dich, Sophie, aber im Grunde ist es so für alle besser. Ich glaube dem Jungen sogar seine Erleichterung. Für ihn ist das ein Wunder …«
»Ich hab genug von diesen Scheißwundern!« Sophie heulte jetzt laut auf, und ihre Tränen begannen ungehemmt zu fließen.
Gina bemerkte erleichtert, dass sich langsam Wut in ihre Verzweiflung mischte. Sie setzte sich neben das Mädchen und nahm es in den Arm. Sophie wimmerte. »Ich möchte ein ganz normales Leben und einen ganz normalen Freund …«
»Ach, auf einmal?« Das war Claudia. Das blonde Mädchen baute sich fast drohend vor seiner Freundin auf. »Gestern wolltest du noch nach Paris. Gestern wolltest du noch tanzen. Und jetzt hockst du da wie eine Heulsuse. Mensch, guck dich doch an, du willst Primaballerina sein? Glaubst du, Marcia Haydee würde so rumheulen oder die Makarowa oder Nijinsky, oder wie sie alle heißen?«
»Was soll ich denn machen?« Sophie schluchzte. »Die Mädchen in der Tanzschule waren so gemein, sie haben mich aus der Stunde geholt und mir die Pressekonferenz im Radio vorgespielt. Denen hat das Spaß gemacht …«
»Die sind doch bloß neidisch. Du tanzt besser als die alle zusammen. Du wirst eines Tages nach Paris gehen, nicht die. Die kommen aus Tatenbeck nicht raus. Mit ihrem Normaloleben und ihren Normalofreunden.«
Sophie schniefte.
»Wie hast du denn reagiert, als die Mädchen dir die Sendungvorspielten?«, fragte nun Berit vorsichtig. In Gedanken arbeitete sie schon an einer Verteidigungsstrategie.
»Gar nicht«, klagte Sophie. »Ich hab zuerst auch gar nichts gefühlt, es war nur alles leer. Und kalt war mir, nur kalt, und dann bin ich zurück in die Stunde gegangen und hab weitergetanzt. Und als ich rauskam, war Claudia da und hat auf mich gewartet.«
Berit und Gina warfen Claudia anerkennende Blicke zu. Für ihr Alter hatte sie sehr erwachsen reagiert.
»Die Reporter haben sie auch noch nicht zu Gesicht gekriegt, die kamen erst an, als wir schon im Haus waren«, erklärte Claudia. »Und jetzt sag ich dir mal, was du machen kannst, Sophie! Du wäschst dir jetzt das Gesicht, und dann gehst du da raus, wir gehen Eis essen zu Lohmeiers, und du wirst lachen. Und wenn die Reporter dich was fragen, dann sagst du –«
»Ich kann aber
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