Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
wieder mal dem Schlaganfall nahe und kündete drastische Schritte gegen Grauenfels an. Genauere Angaben machte er aber wohlweislich nicht.
Berit ließ die Sache denn auch kalt. Ihre Texte waren juristisch narrensicher, wenn die Mädchen sich daran hielten, konnte nichts passieren. »Ihr müsst bloß immer darauf achten, nur von der ›Dame‹ zu sprechen, auf keinen Fall von der Madonna oder sonst was. Offiziell betreiben wir keine himmlische Amtsanmaßung. Anonyme Erscheinungen können hierzulande sagen, was sie wollen.«
Sophie wirkte immer noch leicht weggetreten. Inzwischen klammerte sie sich auch an ihr Handy. »Er könnte mich eigentlich mal anrufen …« Am Nachmittag verschwand sie dann in Richtung Ballettschule. Dort würde man sie hoffentlich auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
Gina dagegen wirkte weiterhin beunruhigt. »Die Murphys geben in einer Stunde eine Pressekonferenz«, verkündete sieschließlich gegen Abend nach ihrem dritten Ausflug auf die Fanseite der Murphys im Internet. »Ich wünschte, ich könnte da hingehen. Wo ist eigentlich dein Ruben? Der muss doch wissen, wen man anrufen kann, um rauszukriegen, was da läuft!«
Berit zuckte die Schultern. »Seit gestern verschollen. Der Typ verschwindet fast so oft wie Merls Drachen. Aber schalt doch einfach das Radio ein! Irgendeinen von den aktuellen Sendern, die Murphy-Musik spielen. Die informieren die Fans garantiert sofort.«
»Wo ist denn hier das nächste Radio? …« Gina öffnete eine Chipstüte. »Ich kann mich schlecht ins Auto setzen, ich hab noch massenhaft Arbeit.«
Über ihre Beschäftigung mit Grauenfels’ neuem Hotelprospekt vergaß sie denn auch kurzfristig die Murphys und ihre Presseverlautbarungen. Bis Ruben ohne anzuklopfen ins Zimmer stürzte.
»Habt ihr es schon gehört? Wo ist eure kleine Seherin? Es wäre besser, sie erführe es von euch, bevor sich die Meute auf sie stürzt und sie kalt erwischt!«
»Wovon redest du?«, fragte Berit und hob ihm erwartungsvoll den Kopf entgegen. Der erhoffte Begrüßungskuss blieb jedoch aus.
»Von der Pressekonferenz dieser Murphys. Sonnyboy Marvin hat sich eben geoutet. Der Knabe ist rundheraus schwul!«
*
»Und so bekenne ich mich zu meiner Liebe, wie die Regenbogenkönigin von Grauenfels gefordert hat! Jonas Hartlaub ist der Mann, für den ich For the One I love geschrieben habe. Komm rauf zu mir, Jonny, keine Heimlichkeiten mehr – meine Familie und ich haben beschlossen, von jetzt an zu meiner Veranlagungzu stehen! Oh, ihr alle nicht werdet glauben, wie glücklich ich bin, wie erleichtert durch den Segen der Jungfrau … Und ich mich entschuldige bei alle Mädchen, denen ich nicht geben konnte, was sie sich vielleicht von mir wünschten.«
»Und wie der auf einmal Deutsch kann!« Berit und Gina lauschten fassungslos Marvins Presseerklärung. Gleich nachdem Ruben die Sache durch seine Redaktion erfahren hatte, übertrug auch das Radio die sensationelle Verlautbarung. »Sophie wird sich die Augen ausheulen.«
»Und wenn ihr nicht gleich was tut, macht sie das vor der gesamten Presse«, meinte Ruben und zündete sich hektisch eine Zigarette an. »Die ersten Reporter stehen in einer halben Stunde bei ihr auf der Matte, da könnt ihr sicher sein. Gestern noch diese Schmusebilder, auf denen ihr die Verliebtheit aus den Augen strahlt, und heute das Outing. Die wollen ihre Reaktion in Großaufnahme. Also tut was!«
»Was denn? Und wo ist sie jetzt überhaupt? Noch in der Ballettschule oder zu Hause? Wir könnten nach Tatenbeck fahren und sie abholen«, überlegte Gina.
»Ruft erst mal bei ihr zu Hause an«, riet Ruben. »Dann erspart ihr euch den Weg. Und informiert auch die andere – Claudia. Sophie wird eine Freundin brauchen – eine Eingeweihte. Wenn die jetzt irgendeiner geschickt fragt, lässt sie euch die ganze Erscheinung platzen!«
Berit hatte sich das Telefon schon gegriffen.
»Sie ist zu Hause«, sagte sie, als sie den Hörer nach kurzem Gespräch auflegte. »Und sie weiß es schon. Claudia ist bei ihr, und wir sollen auch kommen. Frau Becker war eisig. Sieht aus, als machte sie uns dafür verantwortlich.«
Als Berit und Gina ankamen, hatten sich tatsächlich schon die ersten Reporter vor Beckers’ schlichtem Reihenhaus postiert. Sie überfielen die beiden mit Fragen, erhielten aber selbstverständlich keine Antworten. Sophies Mutter öffnete mit bleichem Gesicht und zusammengekniffenen Lippen.
»Sophie ist oben. Gehen Sie einfach rauf …« Frau Becker
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