Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
zurückfahren. Sonst kriegt ihr Ärger mit euren Eltern, bevor die Sache richtig anläuft. Also was ist?«
Sophie und Claudia sahen sich zögerlich an und nickten schließlich. Das Wunder von Grauenfels nahm Gestalt an.
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Bühne frei!
W as soll die Jungfrau eigentlich sagen?«, fragte Sophie. Sie hockte auf einem Baumstumpf am Waldrand und schaute in den Steinbruch hinunter. Igor Barhaupt hatte ein Loch in den Maschendrahtzaun geschnitten und kletterte im Geröll herum. Berit, Gina und die Mädchen warteten geduldig, während er an ein paar Steinwände klopfte. Auf Bitten von Berit und Gina suchte er nach Grundwasser. Zu einer richtigen Marienerscheinung gehörte schließlich eine Wunderquelle. Claudia kraulte Rex’ großen Kopf und machte die ersten Erfahrungen mit seinem Zuneigungssabbern.
»Hier geht’s sowieso nicht, auch wenn Sie Wasser finden!«, rief Gina zu Barhaupt hinunter, ohne von Sophies Frage Notiz zu nehmen. »Der Abhang ist zu steil. Wenn da all die Pilger zur Quelle runterklettern, bricht sich ganz schnell einer das Bein. Und falls das dann nicht umgehend heilt, haben wir schlechte Karten.«
»Ich fand den Platz weiter unten sowieso besser«, meinte Claudia. »Da zieht’s auch nicht so. Wenn wir hier in Ohnmacht fallen, erkälten wir uns.«
Die fünf Verschwörer hatten sich an diesem Abend getroffen, um den möglichen Erscheinungsort auszuwählen. Benötigt wurde eine Waldlichtung, die letztlich Platz für eine Kapelle bieten sollte. Außerdem musste eine Quelle in der Nähe sein. Laut Internet hatte die Madonna ein Faible für Wasserspiele. Spätestens bei der zweiten oder dritten Erscheinung pflegte sie die Seherinnen anzuweisen, irgendwo zu graben.
Wenn dann Wasser floss, zeigte es Heilkräfte. Bislang war immer welches geflossen. Mitunter hatten die Seherinnen allerdings sehr tief graben müssen.
»Eine Wunderquelle … kein Problem«, erklärte Barhaupt schließlich, »wozu bin ich Klempner? Das Wasser lege ich euch hin, wo immer es passt.«
Berit vertrat deshalb die Ansicht, man sollte es gleich am Erscheinungsort sprudeln lassen. Gina dagegen war für eine natürliche Lösung, also ein direktes Anzapfen des Grundwassers im Steinbruch. »Einmal ist das sicherer, falls jemand was nachprüft, und zweitens ist es die sauberste Lösung. Wenn du Wasser auf den Waldboden leitest, gibt das erst mal grundlosen Matsch. Und auch wenn wir dann ein Becken bauen. Mensch, das stört doch die Andacht, wenn da ständig Leute mit Kanistern Schlange stehen!«
Nach einigem Hin und Her suchte Barhaupt eine leicht zugängliche Stelle im Steinbruch, aus der es programmgemäß sprudeln sollte. Möglichst nicht weiter als hundert Meter vom Erscheinungsort entfernt. Für Letzteren waren inzwischen zwei Plätze in der engeren Wahl. Beide lagen oberhalb von Grauenfels und waren allenfalls mit Geländewagen zugänglich. Die Pilger würden laufen müssen.
»Das macht nichts«, meinte Berit dazu, obwohl sie selbst sich mit dem Waldboden ganz schön schwer tat. »Da können sie eine Prozession draus machen. Und ein bisschen leiden gehört nun mal zu einer richtigen Wallfahrt.«
Barhaupt wandte sich weisungsgemäß einer Stelle weiter unten zu und klopfte abermals.
Gina kletterte ihm nach. Sie war deutlich sportlicher als ihre Freundin und mit robusten Jeans, Wanderschuhen und Wachsjacke auch besser für das Abenteuer ausgestattet. Nun machte sie Anstalten, die möglichen Wege vom Wald zum Steinbruch und umgekehrt von unten zu erkunden. Das konnte dauern.
Berit suchte sich einen Baumstamm in Sophies Nähe und gab nun endlich eine Antwort auf deren Frage: »Also erst mal darf Maria nichts wirklich Neues sagen. Das ist zwar völlig verrückt, aber wir haben nur dann eine Chance auf kirchliche Anerkennung, wenn sie nichts von sich gibt, das kirchlichen Dogmen zuwiderläuft. So was wie ›Eigentlich hat der liebe Gott gar nicht so viel gegen Sex vor der Ehe‹ geht zum Beispiel nicht.«
»Also nichts mit Gedankenfreiheit? Nicht mal für MM?«, wunderte sich Claudia. MM oder Mother Mary war ihr neuester Codename für die Jungfrau.
»Zumindest keine Redefreiheit. Bislang hat MM sich jedenfalls als äußerst linientreu erwiesen. Zum Teil bestätigte sie genau das aktuelle Dogma. In Lourdes zum Beispiel stellte sie sich als ›Unbefleckte Empfängnis‹ vor, nachdem der Papst sie gerade erstmalig als solche betitelt hatte. Und sonst fordert sie die Leute immer nur zum Beten auf. Das zieht sich durch alle
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