Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
Texte, und wir werden es mit Sicherheit aufgreifen. Ist ja auch gänzlich unverfänglich.« Berit fröstelte. Es war Anfang März und noch ziemlich kalt in Grauenfels. Claudia hatte Recht. Hier zog es heftig.
»Aber hat sie nicht ständig irgendwelche Weissagungen gemacht?«, wollte Claudia wissen. »Diese ganzen ›Geheimnisse von Fátima‹ und so was?«
Berit zuckte die Schultern. »Ja, aber alles von der schlichtesten Sorte. So die Richtung: ›Es wird zwei große Kriege geben oder auch nicht.‹ In diesem Fall gab es den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Ansonsten hätte ›oder auch nicht‹ gegriffen, Irren konnte MM sich jedenfalls nicht.«
»Auf dem Prinzip beruhen sämtliche erfolgreichen Wahrsagereien«, fügte Gina hinzu, die sich eben wieder zu ihnen gesellte, Sie hatte einen einfacheren Aufstieg gefunden, mit dem auch unbeholfene Pilger fertig werden konnten. »Sag etwas voraus, was im Leben eines jeden Menschen fast unweigerlich zutreffen kann. Aber mach ja keine klaren Orts- undZeitangaben. Wenn ich Berit jetzt zum Beispiel ein Unglück prophezeie, und sie fällt auf dem Rückweg hin und macht sich ihre Designerjeans dreckig, dann ist es schon eingetroffen. Und falls MM demnächst sagt: ›Wenn die Menschen nicht beten, wird auch dies wieder ein Jahr der Kriege und Umweltkatastrophen‹, dann kann da auch nichts schief gehen. Wäre das erste Jahr ohne Kriege und Umweltkatastrophen.«
»Und wenn wirklich nichts passiert, lassen wir sie Silvester einfach noch mal kommen und sich für die vielen netten Gebete bedanken.« Claudia strahlte. Das Mädchen trug heute enge Jeans und eine billige Wachsjacke, sie hatte das bravere Outfit seit der Grease -Aufführung beibehalten. Lediglich ein absolut geschmackloser Ohrring, der einen grinsenden Totenkopf darstellte, erinnerte an Punk.
»Du hast es erfasst. Sollen wir mal zu dem anderen Platz runtergehen? Barhaupt scheint dort schon angekommen zu sein, den sehe ich gar nicht mehr.« Gina setzte sich entschlossen in Bewegung.
Der tiefer liegende Platz wurde auch ihr immer sympathischer. Er war etwas kleiner als der andere, bot aber einen besseren Zugang zum Steinbruch. Dazu lag er unzweifelhaft geschützter. Die Bäume sahen längst nicht so angegriffen aus. Weder Wind noch Steinstaub hatten sie ernstlich geschädigt. Im Abendlicht ergab sich sogar fast eine romantische Stimmung. Auf die Dauer konnte man vielleicht oberhalb der Stelle eine Plattform anlegen, um mehr Leuten den Einblick zu ermöglichen. Wenn man es geschickt anfing, bot sich Raum für ein natürliches Amphitheater. Berit war die Sache mit den Festspielen schon beim ersten Besuch in Grauenfels durch den Kopf geschossen.
»Ich hab die Stelle!«, rief Barhaupt plötzlich aus dem Steinbruch. »Hier. Wenn ihr hier grabt, stoßt ihr nach ein paar Zentimetern auf Grundwasser. Ein bisschen mehr, und ihr habt ’ne Fontäne.«
»Woher wissen Sie das?« Gina lief die letzten Meter den sanften Abhang hinunter, der von der Lichtung in den Steinbruch führte. Unten angekommen, warf sie einen argwöhnischen Blick auf die kleine Vertiefung im Boden. An sich sah der Steinbruch hier aus wie überall sonst.
»Weil die Prüfer vom Umweltamt da auch schon gebuddelt haben«, meinte Barhaupt vergnügt. »Ein Hammerschlag, und es kam Wasser. Danach war der Plan mit der Endlagerstätte für Brennstäbe natürlich gestorben. Es ist wirklich ganz einfach. Die Mädchen müssten es eigentlich allein schaffen.«
»Und wenn nicht, hilft halt jemand. Hat es in anderen Fällen auch schon gegeben, dass ein paar Männer aus dem Dorf mitbuddeln mussten, bevor die versprochene Quelle sprudelte. Wir sind nicht die Ersten, die beim Wunder etwas nachhelfen«, sagte Berit, der nun noch die Mädchen und Rex folgten.
Sophie sprang selbst diese Hänge anmutig herunter. Die kleine Tänzerin versank heute in einem übergroßen Bundeswehr-Parka, den sie hinten mit der Filzstift-Aufschrift Murphy Family versehen hatte. Offensichtlich war sie ein Fan der gleichnamigen Folkgruppe.
»Aber das mit der Quelle machen wir nicht beim ersten Auftritt, oder?«, vergewisserte sich Claudia noch mal über den Ablauf.
Gina schüttelte den Kopf. »Nein, nein, da will ich mehr Publikum. Vor dem zweiten oder dritten Mal sollten wir das nicht in Angriff nehmen.«
Die erste Erscheinung war inzwischen fest für den zehnten März geplant. An diesem Tag stieg die lang angekündigte ›Große Schnitzeljagd des Jugendzentrums Grauenfels‹. Pastor Jaeger und
Weitere Kostenlose Bücher