Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
die Kinder.« Sie wies mit dem Kinn auf das McDonald’s, in dem sich Claudias blonder und Sophies dunkler Schopf ernsthaft über Ginas Info-Mappe beugten.
»Zwei Mädchen?«, raunte Jaeger verblüfft, als er neben Gina ins Café ging. Berit hatte Klaus Dieter sofort mit Beschlag belegt. »Wo haben Sie denn die Zweite aufgetrieben?«
»Claudias Freundin. Sophie Becker, Ballettratte mit Starambitionen. Wahnsinnig begabtes Mädchen, wenn Sie mich fragen.«
»Richtig, Sophie!« Der Pfarrer schlug sich an die Stirn. »An die hätte ich auch denken können. Ein besonderes Gespann, die zwei Mädchen, nicht wahr? Claudia mit ihrer Ausstrahlung und Sophie mit ihrer Schönheit. Die ist ja ein geradezu hinreißendes Kind.«
Gina nickte und argwöhnte wieder einmal, ob Jaeger nicht pädophile Neigungen hatte.
»Könnte ein Traumpaar für Sie werden. Aber lassen Sie uns von etwas anderem sprechen. Klaus Dieter ist nicht eingeweiht«, flüsterte er ihr hinter vorgehaltener Hand zu.
In der nächsten Viertelstunde erzählte der Pfarrer launigvon den vielfältigen Aufgaben eines Kleinstadt-Seelsorgers. Berit zog bei Klaus Dieter alle Register, ohne jedoch ernsthaftes Interesse zu erwecken.
»Ich dachte immer, so was macht die Pfarrfrau«, meinte Gina, als Jaeger die Organisation eines Basars erörterte. »Aber Sie sind noch nicht verheiratet?«
Jaeger lachte, und Klaus Dieter schien ein Kichern zu unterdrücken. »Ich fürchte, das Pfarramt würde meine Wahl missbilligen.« Dabei streifte er den blonden Arzt mit einem kurzen, aber kaum zu missdeutenden Seitenblick.
Aha, dachte Gina und strich den Pädophilie-Gedanken. Jaegers sexuelle Präferenzen lagen offensichtlich eher bei großen Jungen als kleinen Mädchen.
Kurz danach verabschiedete sich Klaus Dieter. Pastor Jaeger blieb noch eine Weile. Berit und Gina nutzten die Gelegenheit, ihn über den Background ihrer künftigen Stars zu befragen.
»Claudia scheint kein besonders gutes Verhältnis zu ihren Eltern zu haben«, meinte Berit vorsichtig.
Jaeger schlug die Augen gen Himmel. »Das ist fast untertrieben. Wissen Sie, Claudia kommt aus einer Lehrerfamilie. Vater Gesamtschulrektor, Mutter Grundschullehrerin. Und beide … nun ja, sie sind beide sehr typisch. Jedes Klischee, das man je über Lehrer gehört hat, trifft hier hundertprozentig zu. Papa Martens ist im Kirchenrat und weiß alles besser. Der Mann kostet mich Jahre meines Lebens! Mama Martens ist sehr umweltbewusst. Wenn sie nicht gerade Müll trennt oder Vorträge über Mülltrennung hält, töpfert sie oder macht Makramee. Ist auch ein bisschen politisch engagiert, natürlich Bündnis 90. Aber da kommt sie nicht gut an, die Leute sind schließlich nicht blöd. Die meisten kennen die beiden noch aus der Vorwendezeit. Und da waren die zwei stets die Ersten beim sozialistischen Fähnchenschwingen. Die Fahne hing sozusagen immer nach dem Wind …«
Berit und Gina lachten. »Kein Wunder, dass Claudia da gern etwas schräg daherkommt. Protestverhalten pur.«
»Es ist eigentlich verwunderlich, wie normal sie noch ist«, meinte Jaeger ernst. »Das Mädchen ist jetzt dreizehn Jahre alt und war nie unbeobachtet. Ihre Grundschullehrerin war damals schon dick mit Mama Martens befreundet. Jetzt geht Claudia in Papa Martens Gesamtschule. Natürlich rebelliert sie oder macht den Klassenclown. Sie versucht ständig zu schockieren, aber sie hat keine Chance. Nach einem Leben zwischen Stasi und Makramee schockt die Eltern einfach nichts mehr. Trotzdem kommt sie in der Schule recht gut mit. Ein immens begabtes Kind.«
Berit und Gina sahen sich an. Beiden schoss das Gleiche durch den Kopf. Selbst ein Leben zwischen Stasi und Makramee dürfte die Martens nicht auf eine Marienerscheinung vorbereitet haben.
»Und Sophie? Wissen Sie da auch ein bisschen was?«, fragte Gina den Pastor.
Jaeger nickte. »Klar, Grauenfels ist ein Dorf. Beckers sind sehr sympathische Leute. Der Mann ist Elektriker, hat sich nach der Wende selbstständig gemacht und kommt mehr schlecht als recht über die Runden. Sophies älterer Bruder ist zurzeit beim Bund, davor hat er eine Elektrikerlehre gemacht. Dann gibt es noch einen jüngeren Bruder, Bernhard. Muss jetzt zwischen sechs und acht Jahre alt sein, ich kann’s schlecht schätzen, er ist geistig zurückgeblieben. Ein nettes Kind. Er kommt in unsere Gruppenstunden im Jugendzentrum. Der Mutter war das zuerst peinlich, weil sie doch nicht in der Kirche sind, aber sie macht ihrem Mann die Buchhaltung
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