Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
sich tapfer, waren aber nach zwanzig Minuten schon völlig dreckverschmiert und ziemlich erschöpft.
»Hat denn hier niemand einen Spaten?« Einer der wenigen männlichen Zuschauer wurde langsam ungeduldig.
»Nimm ma’ n Stein!«, schlug Bernie vor und hielt seiner Schwester einen scharfkantigen Schieferbrocken hin.
»Daran hätten wir auch denken können«, wisperte Gina Berit zu.
Sophie nahm das Hilfsmittel dankbar an und grub nun sichtlich effektiver. Nach einer halben Stunde hatten die Mädchen ein annehmbares Loch freigelegt und stießen tatsächlich auf feuchte Erde.
Claudia sank effektvoll in sich zusammen, als sich die Kuhle endlich mit ein bisschen Wasser füllte.
»Ein Brunnen, es ist ein Brunnen!« Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. In den hinteren Reihen begannen wieder Lobgesänge.
»Ssöne frisse Matsse, ssöne frisse Matsse!«, freute sich Bernie und warf vergnügt mit dem Schlamm um sich. Zu seiner unbeschränkten Begeisterung drängten sich die Leute geradezu darum, von dem Segen getroffen zu werden.
Während sich der Doktor um die Mädchen bemühte, ergriffen inzwischen einige der Pilger die Initiative. Einer derMänner hatte tatsächlich einen Spaten aufgetrieben – Berit fragte sich, ob Barhaupt das organisiert hatte oder ob sich das Werkzeug vielleicht im Kofferraum eines in der Nähe geparkten Wagens gefunden hatte. Jedenfalls grub der Mann mit geübtem Schwung und hatte bald ein kleines Bassin voller Grundwasser. Die Menschen kannten kein Halten mehr. Jeder wollte sich zumindest die Hände mit dem vermeintlich magischen Nass benetzen.
»Verhindern Sie bloß, dass die das trinken!«, wies Doktor Hoffmann Wachtmeister Wegeborn an, der vergeblich versuchte, den Bereich der Quelle abzusperren. »Das muss erst untersucht werden. Verdammt, daran hätten Sie vorher denken müssen!«, wandte er sich mit gedämpfter Stimme an Barhaupt.
Gina legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Keine Sorge, ist schon passiert. Wir lassen es doch auf keine Ruhr-Epidemie ankommen! Das Zeug ist annehmbares Trinkwasser – jetzt aber noch zu schlammig, da stimme ich Ihnen zu. Barhaupt wird das Ganze die Tage verrohren. Heute sollten ja nur ein paar Tropfen kommen. Na ja, das hat sich wohl verselbstständigt!«
Die Leute begannen inzwischen, ihre Taschentücher mit dem brackigen Wasser anzufeuchten.
Gleich danach kam es zu den nächsten zwei Heilungen. Eine Frau verfiel in Zuckungen. Überhaupt verwandelte sich das Wäldchen langsam in ein brodelndes Chaos von betenden, singenden und buddelnden Pilgern, hoffnungslos überforderten Ordnungskräften und medizinischen Helfern. Doktor Hoffmann und die Malteser waren zwischen Aufklärung, erster Hilfe für Menschen, die von der Ekstase übermannt waren, und der Bestandsaufnahme der vielfältigen Wunder, von denen berichtet wurde, hin- und hergerissen.
»Vielleicht machen Sie einfach mal was!«, brüllte Barhaupt Pfarrer Herberger an. »Fällt doch schließlich in Ihr Ressort.«
Der katholische Priester hatte dem Wirrwarr bisher fassungslos zugesehen.
»Ich billige das keineswegs«, sagte er streng. »Wenn die Jungfrau irgendwem erscheinen würde, dann ganz sicher nicht der Brut von früheren SED-Genossen und Atheisten … diese Mädchen …«
»Schauen Sie«, mischte sich Pastor Jaeger ein, der sich eben um eine völlig verwirrte Greisin bemühte, die haltlos, aber offenbar glücklich schluchzte. »Ich muss das alles nicht glauben, meine Kirche hat es nicht so mit Maria als grauer Eminenz hinter der Dreifaltigkeit. Aber wenn die Dame da oben so viel Einfluss hat, lässt sie sich garantiert nicht von ihren untersten Chargen vorschreiben, wem sie erscheint. Also spielen Sie hier nicht die beleidigte Leberwurst, sondern machen Sie ein bisschen in Seelsorge. Von mir aus organisieren Sie ein Gebet oder so, aber halten Sie die Leute von dem Wasserloch fern. Besonders die mit den Spaten, sonst haben wir hier gleich einen Teich.«
Letztendlich war es dann aber das Wiederauftauchen der Mädchen, das endlich Ruhe auf die Lichtung brachte. Claudia trat mit verwirrtem Haar, schmutzigem Gesicht und verträumtem Blick aus dem Wagen des Malteser Hilfsdienstes und verkündete die Botschaft der Dame.
»Sie sagte, die Welt müsse sich reinwaschen von … also irgendwas mit Leid und Lügen oder Schmerzen. So was eben. Und der Weg dahin ginge über das Leiden, aber sie wollte es uns auch einfacher machen … Na ja, und dann sollten wir graben. War gar nicht
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