Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
Anweisungen. Ruben folgte Elfi und Annika in den Gasthof. Es war brechend voll, der Biergarten ein paar Meter weiter hätte sicher die angenehmere Atmosphäre geboten. Elfi und Annika mochten aber nicht auf das kostenlose Essen verzichten. Insofern verspeisten die drei ein drittklassiges Zigeunerschnitzel mit fettigen Pommes frites. Den anschließenden klumpigen Pudding schob Elfi zu Annika hinüber, die ihn dankend verschlang.
Auch die blonde junge Frau ließ sich kurz im Adler sehen, verzog sich aber gleich wieder, als ihr der Lärm und die bierdunstgeschwängerte Luft entgegenwaberten.
Als Ruben schließlich gemeinsam mit den anderen Pilgern aus der Wirtschaft kam und an anderen Bier- und Cafégärten vorbeischlenderte, erhaschte er einen Blick auf sie in einem der Innenhöfe. Sie teilte den Tisch mit einer dunkelhaarigen jungen Frau und zwei Männern. Die vier schienen Informationen auszutauschen. Ruben merkte sich den Cafégarten für später. Wenn sich die Organisationsleitung hier traf, musste das Restaurant empfehlenswert sein.
Auf dem Pilgerpfad in den Wald hinauf herrschte reger Betrieb. Ein paar Jugendliche hielten Rollstühle für gehbehinderte Besucher bereit oder boten ihre Hilfe beim Aufstieg an. Die Gesänge der Gläubigen, in der Stadt nur verhalten zu hören, wurden jetzt immer durchdringender. Annika fiel mit überraschend schöner Stimme in ein Marienlied ein.
»Ich hab als Kind im Kirchenchor gesungen!«, erklärte sie später vergnügt. »Sogar solo. Ich hab immer davon geträumt, mal zur Oper zu gehen.«
Die entsprechende Figur hatte sie, dachte Ruben respektlos. Für ihre Körperfülle bewegte sich Annika allerdings recht behände. Sie stieg ohne größere Atemnot den Waldpfad hinauf und erreichte die ›Wunderquelle‹ noch vor ihrer Freundin und Ruben. Mit einem raschen Schluck Wasser zur Erfrischung sah es allerdings schlecht aus. Die Quelle wurde von mehreren freundlichen, aber bestimmt auftretenden Polizisten bewacht, die den Verkehr gelassen regelten. Die Schlange vor der Wasserstelle war endlos. Immerhin war die Zapfstelle nicht mehr mit dem brackigen Loch vergleichbar, das die Zeitungsfotos von der letzten Erscheinung gezeigt hatten. Es gab eine ordentliche Verrohrung, ein gemauertes Becken und einen Wasserhahn. Der reichte allerdings nicht. Wer immer da die Installation gemacht hatte, war zu sparsam gewesen. Ein einziger Wasserhahn konnte die Bedürfnisse der Menge nicht stillen.
»Niemand mehr als drei Liter!«, instruierte der Polizist an der Quelle die Pilger, die, meist nach einem flüchtigen Kreuzzeichen, oft aber auch schnell und geschäftsmäßig, ihre Kanister unter den Hahn hielten. »Seien Sie fair, die Leute nach Ihnen möchten auch an die Reihe kommen.«
Zwischen Wasserstelle und Krankenwagen war ein Platz mit rotweißem Flatterband abgesteckt.
»Der Erscheinungsort«, raunte jemand ehrfürchtig. »Da haben die Mädchen sie gesehen. Auf die Dauer werden sie da sicher eine Kirche bauen.«
Bei dem hiesigen Durchschnittswetter war das sicher eine gute Idee, dachte Ruben. Der Waldboden erwies sich noch schlüpfrig nach dem letzten Regen, und Pilger mit wenig angepasstem Schuhwerk strauchelten en masse. Aber immerhin sehnte man sich heute nicht nach einem Unterstand. Das Wetter meinte es auch diesmal gut mit Grauenfels, die Sonne stand seit Stunden strahlend am Himmel. Viele ältere Pilger litten denn auch unter Atemnot nach dem langen Aufstieg inder Wärme. Die Belegschaft der drei Malteser-Einsatzwagen hatte gut zu tun.
Bei all dem Wirrwarr wäre Ruben der Auftritt der Seherkinder beinahe entgangen. Erst als ein erwartungsvolles Raunen durch die Menge ging, registrierte der Reporter ein blondes Mädchen im geblümten Sommerkleid und ein dunkelhaariges in grünen Samthosen. Beide Mädchen hielten den Blick gesenkt – allerdings linste die Blonde mitunter neugierig unter den gesenkten Lidern hervor. Die Dunkelhaarige schien dagegen ganz in sich versunken. Eine kleine Schönheit, registrierte Ruben. Beim Casting eines Doubles für Bernadette Soubirous wäre die Wahl der Jury sicher auf sie gefallen. Der kleine Junge an ihrer Hand hielt dagegen nicht viel von Andacht, sondern winkte seinen Anhängern ganz ungeniert zu. Ein paar Pilger hielten ihm Heiligenbildchen, kleine Bücher und sogar Stofftiere entgegen. Das Ganze erinnerte an den Auftritt eines Kinderstars. Die Eltern der Geschwister – Rubens geübter Blick registrierte sofort die Ähnlichkeit zwischen dem
Weitere Kostenlose Bücher