Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
kleinen Bernie und seinem langaufgeschossenen, aber ebenfalls strubbelhaarigen Vater – standen sichtlich peinlich berührt neben einem bärtigen jungen Mann des Typs Jesusdarsteller. Die Eltern des blonden Mädchens konnte Ruben nicht ausmachen. Die Menschen drängten zu den Kindern hin. Auch Ruben kam dem Spektakel immer näher. Wenig später nahmen die Ereignisse um die Kinder ihn ganz gefangen.
*
Claudia ging langsam zur Quelle und wusch ihre Hände in dem Wasser. Sophie kniete inmitten des Erscheinungsplatzes und hielt ihren Bruder mit sanfter Gewalt bei sich. Sie zeigte ihm etwas in einem der Bücher, die er gerade geschenkt bekommen hatte, woraufhin er strahlend lächelte.
»Ssoll ich auch mal ssingen?«, fragte der Kleine. Stillsitzen fand er offensichtlich langweilig.
»Nein jetzt – oh, das Licht! Es ist – Sie ist –« Sophie starrte auf in die Luft und versank in Trance.
»Aber wir haben wirklich gebetet!«, beteuerte Claudia, den Blick in ernster Verzückung in die Weite gerichtet. »Bestimmt. Wir … Nein, natürlich sind wir nicht für alle Welt zuständig. Wir können nur … Ja, wir werden das weitergeben … Warum zeigen Sie sich eigentlich nicht all diesen Leuten hier?«
Claudias scheinbarer Dialog mit der nur ihr sichtbaren Erscheinung klang ungekünstelt und äußerst authentisch. Ruben fiel auf, dass das Mädchen selbst Bewegungen ihres unsichtbaren Gegenübers mit den Augen zu verfolgen schien. Der kleine Bernie summte inzwischen vor sich hin, schaute aber in die gleiche Richtung wie die Mädchen. Dabei lächelte er hinreißend mit fehlenden Vorderzähnen.
»Nein, versteh ich nicht«, antwortete Claudia auf eine vermeintliche Erklärung der Erscheinung. »Aber muss ich ja auch nicht. Mal was anderes. Die Leute hier meinen – also fragen –, ob Sie nicht ein paar Rosenkränze segnen könnten?«
Ruben riss den Blick kurz von der kleinen Seherin los und blickte dabei unversehens in die Augen der dunkelhaarigen jungen Frau, die er vorhin mit der Blondine im Café gesehen hatte. Sie hatte ein hinreißend hübsches, helles Gesicht mit sorgfältig geschminkten, tiefblauen Augen, die mit einem Ausdruck zwischen Unglauben und Verärgerung unter einem bauschigen, dunklen Pony hervorlugten. Ein bisschen der Typ Prinzessin Diana, aber erheblich aparter. Ruben war bezaubert und gewann gleich ganz neues Interesse an dieser Marienerscheinung. Wenn die Frau zur Stadtverwaltung gehörte, konnte er sicher mal ein Interview mit ihr arrangieren. Aber was passte ihr jetzt bloß nicht am Ablauf der Ereignisse? Sie wisperte nervös mit der Blonden an ihrer Seite. Die schien siezu beruhigen. Inzwischen sprach das Mädchen auf dem Erscheinungsplatz weiter.
»Ja, ja, werde ich ihnen sagen. Danke … Natürlich werden wir hier sein, wenn Sie wiederkommen!«
Nach einer kurzen Pause übernahm das andere Mädchen, Sophie, den Dialog. »Doch, ich bete jetzt jeden Tag. Auch mit Bernie. Jetzt? Alle? Doch, bestimmt …« Sophie schien kurz aus der Trance zu erwachen und die riesigen dunklen Augen in die Menge zu richten.
Aber dann übernahm Bernie. In anrührend süßem Knabensopran erklangen die ersten Takte des »Ave Maria« – die Menschen um die Lichtung herum nahmen es begeistert auf –, Ruben sehnte sich nach Ohrenschützern. Auch die Erscheinung schien die Flucht zu ergreifen. Die Mädchen schauten noch kurze Zeit ins Leere und knieten dann mit geschlossenen Augen an ihren Plätzen. Bernie streichelte seine Schwester, mit deren plötzlicher Versunkenheit er offensichtlich nichts anfangen konnte.
Ruben beobachtete, wie sich ein paar Mitarbeiter des medizinischen Hilfsdienstes um die Mädchen kümmerten. Zeit, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Er steuerte auf die dunkelhaarige Frau zu.
»Entschuldigung, gehören Sie hier … äh, sozusagen zur Organisationsleitung?«
Die Frau schob ihren Pony beiseite und musterte ihn mit freundlich-geschäftsmäßigem Blick. Sie trug ein helles Designerkostümchen mit aufreizend kurzem Rock, der den Blick auf lange, schlanke Beine freigab.
»Berit Mohn, Medienreferentin. Was kann ich für Sie tun?«
»Rüben Lennart, von der Zeitschrift Lupe. Sagen Sie, was geschieht jetzt? Ist es irgendwie möglich, ein Interview mit den Mädchen zu kriegen?«
Berit lächelte ihm zu. »Nun, wenn es so abläuft wie immer, dann brauchen die Kinder jetzt ein bisschen Zeit für sich.Doktor Hoffmann untersucht sie in einem der Krankenwagen, aber außer ein paar kleinen
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