Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
nicht? Aber kommen wir erst noch zu Punkt vier: ›Es darf keinen Hinweis geben, dass jemand, der in irgendeiner Verbindung mit angeblichen Erscheinungen steht, daraus finanziellen Vorteil ziehen könnte.‹«
»Also mein Papa hat deutlich mehr Aufträge seit der Sache mit MM«, räumte Sophie ein. »Wir sind ja jetzt so was wie prominent. Macht das was?«
»Wenn sie die Angelegenheit daraufhin abklopfen, profitiert natürlich ganz Grauenfels finanziell von der Angelegenheit«, meinte Berit. »War ja auch der Sinn der Übung. Aber ich glaube, es geht mehr darum, ob ihr zum Beispiel Interviewhonorare kassiert oder so. Also erzählt besser nichts von den Talkshow-Einladungen.«
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Ausführungen.
»Berit? Die Leute vom Bischofsamt sind hier. Sind die Mädchen schon da?«, fragte Gina, die Wache gehalten hatte, scheinheilig und wandte sich dann alarmiert Richtung Flur. Offensichtlich stürzte sich da gerade Frau Martens auf die Prüfungskommission.
Claudia verdrehte die Augen und stand auf. Ihre Mutter war bereits voll in Fahrt.
»Eine wirklich spirituelle Erfahrung … ich hätte es selbst nicht geglaubt, aber unsere Claudia denkt sich so etwas nicht aus! Sie war immer so ein liebes Kind!«
»Also los!«, meinte Berit ermutigend. »Und viel Glück!«
Claudia setzte ein schüchternes Lächeln auf, Sophie schaute ängstlich, aber gefasst. Sie sah bildhübsch aus mit ihrem blassen Schneewittchengesicht.
Die beiden Vertreter des Bischofs – ein vierschrötiger, barsch wirkender Mann in brauner Kutte und ein hochgeschossener, altersloser Typ mit Asketengesicht und farblosen Augen, in schwarzem Anzug mit Priesterkragen – nahmen vorerst kaum Notiz von den Mädchen. Nur der Asket maß die beiden mit einem kurzen Seitenblick. Die beiden Männer nahmen sich zunächst Bernie vor, der in Begleitung seiner Mutter, in einem Bilderbuch blätternd, auf dem Flur gewartet hatte. Frau Becker wirkte dabei nicht so begeistert wie Frau Martens, sondern eher peinlich berührt und eingeschüchtert.
Gina tat die Frau Leid, die mit der Situation sichtlich überfordert war. Sophies Mutter trug ein bunt bedrucktes Sommerkleid, hatte leichtes Make-up aufgelegt und ihr dunkles, mit aparten Silbersträhnen durchzogenes Haar sorgfältig frisiert. Dennoch wirkte sie hausbacken und linkisch – auf jeden Fall ganz sicher nicht wie jemand, der seine Kinder dahin gehend manipulierte, sich mit der katholischen Kirche anzulegen. Nervös spielte sie mit dem Bilderbuch, das sie Bernie aus den Händen genommen hatte.
»Dann komm mal mit, Kleiner«, sagte Braunkutte kurz. »Sie sind die Mutter? Warten Sie bitte hier!«
»Kann ich dabei sein?« Frau Becker legte ihrem Sohn den Arm um die Schultern. »Bernie ist … Bernie würde sich ängstigen, wenn ich ihn mit Ihnen allein lasse.«
»Frau Becker, vielleicht haben Sie das nicht ganz verstanden, aber uns geht es darum, die Kinder ganz ohne äußere Beeinflussung zu befragen. Wenn Sie ihn begleiten, würde das die Ergebnisse der Befragung verändern.« Der Asket bemühte sich um einen geschäftsmäßigen Ton.
Frau Becker biss sich auf die Lippen. »Ich will ihn nicht beeinflussen, nur bei ihm sein. Er ist doch noch ein Kind! Und ein … ein behindertes Kind obendrein. Ich muss doch wissen, was Sie mit ihm machen.«
»Frau Becker, dieses Kind behauptet, in den Genuss einesäußerst seltenen Zustandes himmlischer Gnade zu kommen. Wenn es reif genug sein will, die Worte der Gottesmutter zu interpretieren, so muss es auch fähig sein, eine Befragung allein durchzustehen.« Braunkutte wurde jetzt streng.
Bei Frau Becker erreichte er damit aber genau das Gegenteil. Sie stand energisch auf und schüttelte den Kopf.
»Ich dachte, bei Ihnen wären alle Kinder im Zustand göttlicher Gnade. Heißt es nicht ›Lasset die Kindlein zu mir kommen‹? Wenn mein Bernie Ihnen das erst mal beweisen soll, dann lassen wir es lieber. Komm Bernie, wir gehen!«
Bernie, der die ganze Zeit nur Augen für sein Buch gehabt hatte, nahm die Männer erst jetzt richtig wahr.
»Warum hasdenn dun Kleid an?«, fragte er Braunkutte treuherzig.
Sophie und Claudia konnten ein Kichern nicht unterdrücken.
Der Asket wechselte rasch ein paar Worte mit seinem Kollegen. Schließlich seufzte er.
»Also schön, Frau Becker, im Sinne der Wahrheitsfindung wollen wir denn mal eine Ausnahme machen – allerdings sind wir sehr enttäuscht, man sagte uns, Sie wären kooperativ. Und nun dieser Mangel an
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