Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
nachzukommen, oder Annika?« Ruben warf einen vielsagenden Seitenblick auf Peter.
»Wer? Oh, Sie meinen die Jungfrau! Ja, äh …« Annika wurde ein bisschen rot, ihr Mondgesicht schien von innen heraus zu strahlen. »Ich weiß natürlich noch nicht, ob … aber es ist schon – es ist schon irre, ich hätte nie gedacht, dass so eineWallfahrt … Wissen Sie, wenn es jetzt doch nicht klappen sollte – dann versuch ich glatt noch Fátima!«
Berit und Ruben verbrachten ein paar unterhaltsame Stunden, wobei er zwar wenig über die Hintergründe der Grauenfelser Marienerscheinung erfuhr, aber sehr viel darüber, wie hintergründig Berit lächeln konnte und wie sich plötzliche Geistesblitze in ihren irritierend blauen Augen spiegelten. Nach zwei Prosecco war Ruben schwer verliebt, und Berit tänzelte nicht minder beschwingt an seiner Seite Richtung Bürgermeisteramt.
Gina saß im Büro von Sybille Clarsen und blätterte in einem Terminkalender. Berit stellte Ruben vor.
Gina begrüßte ihn ohne großes Interesse. Sie wirkte ziemlich geschafft.
»Puh, ich glaube, diese Leute haben jeden Baum im Wäldchen gefilmt und jeden zweiten Pilger interviewt. Sie möchten gerne bei der nächsten Erscheinung filmen, aber das geht natürlich nicht. Allerdings haben sie ein Amateurvideo von der letzten. Was meinst du, Anwalt einschalten oder lassen wir sie senden?«
»Sollen sie doch senden. Wahrscheinlich ist sowieso nichts drauf zu erkennen. Ich hab nicht gesehen, dass jemand gefilmt hat, kann also kaum in der ersten Reihe gewesen sein. Und was ist mit der Talkshow?«
»Mit der Talkshow? Machst du Witze? Ich hab Einladungen für drei. Eigentlich wollten sie natürlich die Mädchen, aber das hab ich abgebogen. Bleibt zu hoffen, dass sie nicht auch noch an die Eltern direkt herantreten. Diese Martens vor der Kamera wäre eine Katastrophe. Sonst geht jedenfalls jeweils eine von uns. Wo willst du hin? Ich hab Hamburg, Köln und München zu vergeben.«
»Hamburg«, sagten Berit und Ruben wie aus einem Mund. In ihr Gekicher darüber platzten Claudia und Frau Martensins Zimmer der Sekretärin. »Wie sieht es aus, haben Sie die Tests?«, fragte Claudias Mutter.
Berit seufzte. »Natürlich nicht. Sie haben doch gehört, dass Frau Wahl das nur den direkten Angehörigen der Mädchen offenbart.«
»Jetzt sind allerdings gerade Sophie und ihre Eltern bei ihr.« Gina wies auf die geschlossene Tür zum BeGin- Büro . »Wenn Sie also ein paar Minuten warten würden …«
Wie auf Stichwort ging in dem Moment die Tür auf. Herr und Frau Becker bedankten sich etwas linkisch bei Frau Wahl und reichten Berit dann einen Zettel.
»Hier, das ist das vorläufige Gutachten. Wir können noch ein ausführlicheres kriegen, wenn wir wollen, aber im Grund ist das nicht nötig. Sieht aus, als wäre unsere Sophie ziemlich durchschnittlich.« Frau Becker lächelte verschämt.
»Also als durchschnittlich würde ich Ihre Sophie nun keineswegs beschreiben«, mischte sich Ruben ein und warf einen Blick auf den bildhübschen Teenager.
Sophie hatte ihr Haar heute zu einem dicken Knoten im Nacken gewunden – wahrscheinlich wollte sie gleich noch zur Tanzstunde. Ihr schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen wirkte dadurch ausdrucksvoller, besonders die lang bewimperten Schneewittchenaugen. Ansonsten trug sie Jeans und ein T-Shirt mit der Aufschrift Murphy Family. Es war schon recht verwaschen, anscheinend gehörte es zu Sophies Lieblingsstücken.
Berit wartete, bis Frau Martens und Claudia im Büro nebenan verschwunden waren, und warf dann einen Blick auf das Gutachten.
»Sophie ist intelligent und aufgeschlossen, geistig ihrem Alter entsprechend entwickelt, eher introvertiert, aber nicht übermäßig schüchtern, sehr stark bewegungsorientiert, durchschnittlich fantasievoll, keine Anzeichen für Halluzinationen. Überhaupt sind keine psychischen Auffälligkeiten erkennbar;soweit ohne klinische Untersuchungen festzustellen, auch keine Anzeichen für Epilepsie oder andere Absenzen oder Anfälle auslösende Krankheiten. Der Gesamteindruck von Sophie entspricht dem einer normal entwickelten, gesellschaftlich angepassten Dreizehnjährigen. Fleiß, Ehrgeiz und Disziplin sind deutlich stärker ausgeprägt als üblich, was notwendig ist, wenn Sophie tatsächlich eine Ausbildung zur Balletttänzerin anstrebt. Die Prognosen dafür sind vom psychologischen Standpunkt aus sehr günstig.«
Sophie strahlte vor Stolz.
»Glauben Sie, dass ihr das helfen könnte, bei
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