Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
einfällt. Was macht dein Journalistenfreund, Berit? Nichts mehr von ihm gehört? Ich dachte damals, bei euch wär’s schwer am Schnackeln …«
Berit imitierte ein Schniefen. »Es hat nicht sollen sein. Zumindest vorerst nicht. Ich werde mir beim nächsten Mal überlegen, die Madonna irgendwelche Putsche voraussagen zu lassen, Borunji war ein Eigentor. Da haben sie sich nämlich gleich nach dem vorhergesagten Regierungswechsel noch mal in die Haare gekriegt, und der neue Häuptling ist zufällig ein alter Bekannter von Ruben. Er hat mal eine größere Reportage über dieses komische Land gemacht, und der Typ war wohl Sprecher der Opposition. Auf jeden Fall hat Ruben ihn damals interviewt, und jetzt hat der Mann angerufen und wollte ihm ganz exklusiv von den diversen Massakern erzählen, die sie da gerade durchziehen oder vorher durchgezogen haben, oder was weiß ich. Der Chefredakteur der Lupe war hin und weg – und hat Ruben natürlich gleich von der Neue-Bundesländer-Story abgezogen und in den nächsten Flieger gesetzt. Seitdem ist Funkstille.«
»Im Urwald haben sie wahrscheinlich keinen E-Mail-Anschluss«, mutmaßte Gina tröstend.
»Oder der Häuptling hat auch eine sehr nette Medienreferentin«, bemerkte Berit. »Wir werden es sehen. Ich mach mirjedenfalls keine Illusionen. Wenn er weg ist, ist er weg. Wie ist das Wetter draußen?«
»Ganz ordentlich«, meinte Gina. »Kühl, wolkig, aber kein Regen, auch nicht angesagt. Merl meint, es sei ideal für die Erscheinung. Das Pilgeraufkommen ist ziemlich hoch, eher mehr als geplant, hoffen wir mal, dass keiner einen Fotoapparat dabeihat. Wir überprüfen das ja auch seit ein paar Tagen. Weil angeblich das Blitzlicht die Andacht stört. Superidee! Stammt von Merl!«
»Du bist auch nicht schlecht verschossen, oder?«, fragte Berit grinsend. »Gedenkst du, demnächst mit ihm im Wohnwagen zu leben und dein Bett mit einem Faultier zu teilen?«
»Wäre nicht das erste!« Gina lachte. »Wenn ich an den Architekten denke, mit dem ich mal zusammen war –«
Claudia und Sophie unterbrachen das Gespräch. Beide in Jeans und Wachsjacken. »Ist windig draußen«, erklärte Claudia ihren Aufzug. »Hoffentlich geht mir nicht wieder die Kerze aus.«
»Nehmt ihr nicht die neuen Leuchter, die Mandy und Co verkaufen?«, fragte Berit. »Die sind doch ganz hübsch und sollten den Wind abhalten.«
Mit den regelmäßigen Prozessionen hatten die Regenbogenmädchen das Angebot erweitert.
Claudia schnaubte. »Deren Leuchter halten den Wind genauso sicher ab wie ihre Krüge das Wasser drin«, bemerkte sie. »Mir ein Rätsel, wer den Schrott kauft. Aber Susan und Linda, die im Chor mitmachen, können wenigstens singen. Die reißen da einiges raus. Dagegen die Leute von Pfarrer Herberger …«
»Ist der Tatenbecker Chor jetzt auch übergelaufen? Dieser Pfarrer Herberger wird sich noch mal nach der Idee mit der Endlagerstätte für Atommüll zurücksehnen. Könnt ihr euren Text?«, fragte Gina und wurde ernst.
Claudia und Sophie überhörten die letzte Frage.
Schweigend machten sich die vier auf den Weg zum Prozessionsweg. Unterwegs sauste Gina noch schnell in den Supermarkt, um die Chipsvorräte aufzufüllen. Sophie spielte nervös mit ihrer Kerze.
Am Verkaufsstand der Regenbogenmädchen war heute viel los, fast noch mehr bei den Devotionalien.
»He, der hat ja neue Bilder!«, bemerkte Berit und zeigte auf eine Auswahl grauenhaft kitschiger, aber perspektivisch immerhin gut gestalteter Gemälde und Drucke. »Qualitativ deutlich besser als die alten. Wieder ein örtlicher Künstler?«
Gina räusperte sich. »Äh, hm … diesmal mehr eine Zugereiste. Mein, äh, Auto brauchte Sommerreifen.«
Berit gluckste. »Ganz neue Definition von Gebrauchsgrafik.« Sie kicherte. »Wie schade, dass ich meine Texte nicht vermarkten kann.«
»Du kannst später deine Memoiren schreiben«, tröstete sie Gina. »Außerdem geht ›Die Geheimnisse von Fátima‹ hier wie verrückt. So was kannst du ja auch mal verfassen.«
Die Pilger warteten am Eingang zum Steinbruch mit schon entzündeten Kerzen und grüßten die Seherkinder mit einem schauerlich falschen »Ave Maria«. Sophie schob sich unauffällig Ohropax ein, woraufhin ihr hübsches Gesicht den typisch entrückten Ausdruck eines Teenagers unter dem Einfluss seines Walkmans annahm. Claudia schenkte den Fans ein schüchternes Lächeln und zog dann mit züchtig gesenktem Kopf der Prozession voran. Neuerdings gab es einen Rundweg zum
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