Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
natürlich auch ohne Unterleib aus der Luft holen …«
»Nun hören Sie mal auf zu ulken«, bremste Gina Merlot. »Kommen Sie lieber mit zum Erscheinungsplatz, bevor es regnet. Und gucken Sie gefälligst wie ein Pilger, Sie fallen sonst auf!«
Claudette verließ Rex sichtlich ungern, aber Gina erlaubte nicht, dass der Schäferhund ihnen folgte. Trotz seines enttäuschten Blicks schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu.
»Es macht einen zu schlechten Eindruck, wenn er da oben an die Bäume pinkelt«, erklärte sie Merlot. »Und die Quelle scheint ihn anzuregen, kaum betritt er das Wäldchen, da sprudelt’s aus ihm heraus. Sonst hab ich ihn ja gern, aber er stört die Andacht der Pilger. Mal abgesehen von seinem nervtötenden Gejaule, kaum dass einer singt.«
Merlot folgte Gina interessiert durch die beim heutigen Regenwetter wenig bevölkerten Straßen von Grauenfels. Wenn die Temperatur unter eine gewisse Grenze fiel, blieben erfahrungsgemäß auch die eifrigsten Pilger weg. Der Devotionalienhändler verschanzte sich und seine Waren unter einer schwarzen Plastikfolie. Die Mädcheninitiative – inzwischen firmierten die »Regenbogenmädchen« unter einem rührend kitschigen Emblem, auf dem ein artiges Mädchen der Madonna eine Rose reichte – schützten ihre Angebote notdürftig mit bunten Schirmen. Merlot warf einen skeptischen Blick auf die Tongefäße: »Handarbeit der Regenbogenmädchen«. Der Aufkleber war mit Hilfe des neuen Computers höchst professionell gestaltet, machte die Töpferwaren aber auch nicht schöner.
Mandy – sie bewahrte ihre artige Frisur mit einem blauen Schal vor dem Sprühregen – winkte Gina etwas frustriert zu.
»Heute läuft’s nicht, was?«, fragte Gina mitleidig.
Mandy nickte. »Ich mach auch gleich zu. Wir haben noch Gruppensitzung. Wegen dieser Chorgründung, die alte Martenssucht noch Stimmen für den Sopran der Marienlieder. Wir machen ja ungern was mit ihr zusammen. Aber ’ne CD wär nicht schlecht. Und als Chorleiterin kann sie was, ich hatte sie in der Grundschule. Die hat selbst aus uns Dreikäsehochs einen ordentlichen Kanon rausgekitzelt.«
»Vor allem wäre Frau Martens beschäftigt und ließe Claudia in Ruhe.« Gina seufzte. »Seit wann macht sie denn das mit dem Chor? Ich dachte, sie steckt noch voll in der Organisation des Frauengebetskreises und der Blumendekoration an der Quelle.« Gina öffnete ihren Schirm. Merlot zog sich einen Knirps aus der Luft. Mandy beobachtete ihn ungläubig.
»Sie sollen das doch lassen!«, zischte Gina ihm zu und wandte sich dann wieder Mandy zu. »Eine CD der ›Kinder von Grauenfels‹ wäre jedenfalls der Verkaufsschlager. Wenn die Martens das wirklich professionell aufzieht, würde ich euch empfehlen mitzumachen. Aber lasst euch bei den Verhandlungen nicht an die Wand drücken. Seht zu, dass ihr euren Anteil kriegt.«
»Keine Sorge!«, meinte Mandy selbstsicher. »Ich hab ein Buch über Marketing. Wir werden auch über die Titelgestaltung diskutieren. Wenn wir da überhaupt mitjodeln, dann heißt das Album ›Regenbogenmädchen singen um ein Wunder‹ oder so!«
»Aber nicht den guten Zweck vergessen!«, rief Gina ihr noch zu, während sie Merlot weiterführte. Der Pilgerweg erwies sich heute als etwas glitschig. Zweimal reichte der Zauberer Gina die Hand, um ihr über extreme Stellen hinwegzuhelfen.
»Hier muss unbedingt mal geschottert werden«, bemerkte Gina. Sie hätte die Hilfe nicht wirklich gebraucht, aber sie fand Merlots Fürsorge rührend.
Am Erscheinungsplatz tat sich heute auch nicht viel. Nur ein paar wirklich unentwegte Pilger harrten, zusammengekauert unter ihren Schirmen, auf den Bänken aus. Gina dachtean Sybille Clarsen und ihr verzweifeltes Gebet. In den nächsten Tagen müsste die Gewinnbenachrichtigung eintreffen.
Merlot schien den Sprühregen gar nicht zu bemerken. Gefolgt von der wenig begeisterten Claudette, wanderte er Wäldchen und Steinbruch fast zentimeterweise ab und fand schließlich den gesuchten Platz ganz in der Nähe der Quelle – in dem Teil des Wäldchens, den Berit als mögliche Freilichtbühne vorgesehen hatte. Eine Kalksteinwand ragte hoch vor einer Lichtung auf. Die ideale Projektionsfläche.
»Hier müsste es gehen«, meinte der Zauberer. »Kriegt man die Leute da hin?«
Gina nickte. »Lässt sich machen. Müssen wir nur die Prozession in die Richtung leiten. Am besten jetzt schon, damit das Ganze vorbereitet ist. Wir machen die Prozessionen jetzt jeden Freitag, Samstag und
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