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Das Wunder von Grauenfels (German Edition)

Das Wunder von Grauenfels (German Edition)

Titel: Das Wunder von Grauenfels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktoria Benjamin
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freigegeben wurde, streckte dem Betrachter anmutig grüßend die Arme entgegen. Die Lippen der Gestalt waren leicht geöffnet, ein geringes Schwanken der Projektion würde fast den Eindruck erwecken, als bewegtensie sich. Der Augenaufschlag unter der Kapuze wirkte ein wenig wie ein Schielen – hier war Diana durchgeschlagen –, aber es gab der Gestalt einen anrührend menschlichen Ausdruck und erweckte wieder den Anschein von Bewegung. Das Gesicht verfügte über aristokratisch hohe Wangenknochen, eine weiche, leicht negroide Lippenform, eine hohe Stirn und eine gerade, klassisch schöne Nase.
    »Perfekt«, rief Merlot. »Optimal zwischen Mädchen, Mama und Kleopatra. Das wird die Show meines Lebens. Wann ziehen wir’s durch, nächste Woche?«
    *
    Die Verschwörer wählten einen Freitag für ihre Aufführung – zufällig genau den Tag, an dem Sybille Clarsen ihre Gewinnbenachrichtigung erhielt.
    Die Gemeindesekretärin konnte es nicht fassen. »Eine Reise nach Jamaika! In ein Fünf-Sterne-Hotel! Und ich kann Michi mitnehmen, Kinder unter acht Jahren sind frei! Ist das nicht wunderbar? Wissen Sie, bis jetzt hab ich ja nicht so ganz dran geglaubt an die heilige Maria hier, aber … aber jetzt wo ich so sehr um ein Wunder gebeten habe …«
    »Inwiefern ist denn eine Reise ein Wunder?«, grummelte Igor Barhaupt. Der Bürgermeister litt schwer unter Lampenfieber. Die Einbeziehung des Magiers in die Erscheinungsgeschichte lag ihm ziemlich im Magen.
    Berit und Gina konnten es nachvollziehen. Bisher hätte Barhaupt jegliche Beteiligung an der Erscheinungsgeschichte leugnen können. Aber jetzt: Ein Profi-Zauberer auf der Gehaltsliste war nicht wegzuleugnen.
    »Für mich ist es ein Wunder!«, jubelte Sybille Clarsen. »Einmal hier rauskommen, die Sonne, die Karibik … frei sein, verstehen Sie?«
    »Also in der Regel nimmt man seine Probleme mit, egal woman hinfliegt«, dämpfte Barhaupt sie. »Können Ihnen all meine Nachbarn bestätigen, die Balkonien gegen Mallorca eingetauscht haben.« Er verließ missmutig das Zimmer.
    »Ich nicht!«, rief Sybille Clarsen Barhaupt hinterher. Sie strahlte Gina und Berit an. »Ich tauche mal ganz ab. Buchstäblich! Ein Tauchkurs ist nämlich auch dabei. Oh, ich freue mich so, ich glaube, ich gehe mit auf die Prozession heute!«
    Gina und Berit sahen einander fragend an. Ob das so eine gute Idee war? »Oh, äh, Frau Clarsen …«, setzten beide gleichzeitig an.
    »Wollten Sie heute nicht diese Probeaufnahme von Frau Martens’ Chorgesang für uns machen?«, fiel Berit glücklicherweise ein. Das war tatsächlich geplant. Claudias Mutter musste vom Erscheinungsort fern gehalten werden, und das ging erfahrungsgemäß am besten, indem man ihrem Ego schmeichelte. In den letzten Wochen hatten Berit und Gina reichlich Zeit gehabt, Frau Martens’ Persönlichkeit zu studieren. Nach wie vor legte Claudias Mutter ihren gesamten Ehrgeiz in Betreuung und Promotion ihrer »auserwählten« Tochter. Abgesehen von der nervlichen Belastung aller sonstigen Beteiligten tat das der Gesamterscheinung eher gut. Seit Frau Martens den von Pfarrer Herberger stets eher stiefmütterlich behandelten katholischen Frauenkreis von Tatenbeck dazu gebracht hatte, mit fliegenden Fahnen zu ihr überzulaufen, war die Quelle stets mit frischen Blumen geschmückt. Die Erscheinungsplätze waren sauber wie geleckt – Frau Martens entdeckte jedes Bonbonpapierchen und entfernte es umgehend von der heiligen Stätte –, und wenn es nicht regnete, hielt der Frauengebetskreis täglich eine Andacht an der Quelle. Die Frauen genossen die Chance, sich als Vorbeterinnen zu profilieren, und sahen dabei gern darüber hinweg, dass die Leiterin ihres Kreises streng genommen nicht mal der richtigen Konfession anhing. Von ihrer SED-Vergangenheit ganz zu schweigen. Neuerdings leitete Frau Martens nun auchnoch den Ghor – angeblich mit guten Ergebnissen. Am nächsten Erscheinungstag sollte sie ihn zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentieren. Die Sänger hofften auf einen Plattenvertrag. Gina und Berit sahen vor allem den positiven Nebeneffekt, dass Claudia ungestört von ihrer Eislaufmami würde agieren können.
    Sybille Clarsen schaute enttäuscht in ihren Terminkalender. »Das hätte ich jetzt fast vergessen. Aber nachher zünde ich an der Quelle eine Kerze an. Bestimmt!«
    »Und nach der Reise legt sie den Flugschein zu den Votivgaben«, grinste Gina, als Frau Clarsen wieder hinaus war. »Wozu mir die Nase dieser Frau Sowieso

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