Das Wunder von Grauenfels (German Edition)
nach. Da kann genauso gut ich die Lorbeeren ernten. Apropos ernten: Gibt’s hier irgendwo ein Lokal mit Apfelbäumen?«
Ruben kaufte schließlich ein Pfund Äpfel und hängte es mit Erlaubnis der verwirrten Kellnerin in den Walnussbaum im Café Lohmeier. Bevor Berit eintraf, erschien allerdings Gina am Stammtisch – in Begleitung eines schlaksigen jungen Mannes mit wachen, braunen Augen, Zweitagebart und auffällig beweglichen Gesichtszügen.
»He, da fehlt ja nur noch die Schlange!«, bemerkte er zu Rubens Anstrengungen, die Früchte mit dünnem Draht an den Ästen zu fixieren.
Ruben lächelte etwas bemüht – und wäre gleich danach beinahe vom Baum gefallen. In einer Astgabel räkelte sich urplötzlich etwas Kleines, Grünes und zwinkerte ihn aus runden Echsenaugen an. Ruben hätte schwören können, dass das Wesen vor zwei Sekunden noch nicht da gesessen hatte – mal abgesehen davon, dass es offensichtlich nicht zur heimischen Tierwelt von Grauenfels gehörte.
Gina, die sich eben noch mit der Kellnerin unterhalten hatte, wurde aufmerksam, reagierte aber nur mit mäßiger Verwunderung auf das Reptil.
»Merl!«, rief sie tadelnd. »Was macht denn Friedrich hier? Du sollst doch nicht ständig …«
Ihr Begleiter warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Das ist nicht Friedrich, das ist Friederike! Solltest du eigentlich erkennen! Sie ist viel kleiner als er. Und auch noch nicht so zahm.« Das Tier gab eine Art Fauchen von sich, als der Mann es vom Baum nahm und Gina feierlich überreichte. »Hier. Dein persönlicher Glücksdrache. Die unsichtbaren sind auf die Dauer doch langweilig!«
»Für mich?«, fragte Gina zwischen Entsetzen und Begeisterung. »Frau Clarsen wird Zustände kriegen, wenn wir den ins Büro setzen. Und Berit ist irgendwie auch nicht so heiß auf Reptilien.«
»Tja … dann lässt du sie eben einfach verschwinden, wenn die beiden vorbeikommen.« Der junge Mann zuckte die Achseln, und der Leguan schien auf ebenso magische Weise zu dematerialisieren, wie er eben im Baum aufgetaucht war.
»Merl!«, schimpfte Gina. Sie sah Ruben geradezu an der Nase an, was er sich eben an fünf Fingern abzählte.
Zum Glück erschien Berit im Biergarten, bevor er die Sache kommentieren konnte.
»Ein Apfel für Eva«, meinte Ruben galant und warf ihr eine Frucht zu. »Und sag jetzt nichts zu dem Baum – ich wette, der ist mindestens so echt wie eure Marienerscheinung.«
Berit und Gina ließen das unbeantwortet.
Merl bestellte Prosecco und erzählte Ruben, dass er im Zirkus mit Tieren arbeite. Gelogen war das ja nicht, und Merl verstand es auch, seine diversen Dressurerlebnisse so lebhaft zu schildern, dass Ruben vor Lachen kaum dazu kam, Fragen zu stellen. Besonders die Faultierdressur schien eine Lebensaufgabe zu sein.
»Es hat etwas Meditatives«, behauptete Merl. »Verlangt aber eine gewisse Kondition …« Während er von der sportlichen Herausforderung erzählte, einen Ring wirklich so lange hochzuhalten, bis ein Faultier hindurchgeklettert war, tippte Ruben jemand schüchtern von hinten an.
»Entschuldigung, ich will nicht stören, aber ich hab Sie hier gesehen, und da dachte ich, ich sage kurz Guten Tag.«
Als Ruben sich umwandte, erkannte er Annika. Hinter ihr stand Peter Lohmeier.
»Das ist jetzt aber kein Besuch im Krankenhaus mehr, oder?«, fragte Ruben, nachdem er sie begrüßt hatte. »Ihre Freundin muss doch längst wieder zu Hause sein.«
Annika nickte eifrig. »Aber ja! Und sie ist so glücklich mit ihrer neuen Nase. Ich bekomme Elfi kaum noch zu sehen, sie hat neuerdings auch wieder einen Freund, einen Zahnarzt …«
»Dann kommen ja bald auch noch Jacketkronen dazu!«, scherzte Ruben. »Anschließend ist sie dann völlig unwiderstehlich. Aber Sie sehen auch fantastisch aus!« Das war nicht gelogen. Seit ihrem letzten Zusammentreffen hatte Annika einige Kilo abgenommen. Sie trug ein weites, grünes Sommerkleid, sorgfältiges Make-up und wirkte so rosig und glücklich, wie es eigentlich nur Verliebte tun.
»Danke«, sagte sie verlegen. »Ich fühl mich auch großartig. Weil …« Sie beugte sich zutraulich zu Ruben herab und flüsterteihm ins Ohr: »Weil mein Wunsch doch auch in Erfüllung gegangen ist. Peter und ich …«
»Ich hab Annika gerade vom Zug abgeholt. Wir wollen morgen im Hainich wandern«, erzählte Peter, fast etwas eifersüchtig ob Annikas Vertrautheit mit Ruben. »Sonntag ist natürlich wieder Erscheinung, da hab ich Dienst, aber Samstag machen wir jetzt fast
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