Das Wunder von Treviso
auf ein Minimum beschränkt: eine Glückwunschkarte zum Namenstag, ein kurzes Telefonat zu Weihnachten und hin und wieder ein paar Worte bei Familienfeiern. Und jetzt erschien sie wie aus heiterem Himmel in Treviso und machte ihm das Leben … ja, was eigentlich? Leicht? Schwer?
Don Antonio zog sich an der Rückenlehne der Bank hoch und schlich in Richtung Kirche, wo er sich ohne Umwege direkt in die Krypta begab. Dort empfing ihn der Geist Don Ignazios mit den Worten: «Und, hast du das Mädchen gut untergebracht?»
Don Antonio war überrascht: «Woher weißt du, dass sie da ist?»
«Ich bitte dich, Antonio, du hast sie doch heimlich ins Haus geholt! Glaubst du etwa, so etwas merke ich nicht?»
«Ich hab sie nicht heimlich geholt», antwortete Don Antonio entrüstet. «Die ist von selbst bei mir aufgekreuzt!»
«Junge», erwiderte Don Ignazio, «ich sage es ja nur ungern, aber aus Erfahrung weiß ich, dass nicht einmal Geister so ohne weiteres durch Mauern hindurchgehen, wie sollte es da eine Madonnenstatue schaffen? Oder hattest du etwa eine Erscheinung?»
«So kann man es auch nennen. Meine Schwester Maria ist da!»
«Aha», machte Don Ignazio, «und ich dachte, wir reden von der Madonna, die du heimlich entwendet hast. Wie geht es ihr denn so?»
«Was soll die Frage? Sie ist blau, sie ist kaputt, und bei Tageslicht betrachtet wirkt sie auch nicht schöner als hier unten im Dunkeln», antwortete Don Antonio.
«Gott, bist du heute schwer von Begriff! Deiner Schwester, Antonio, wie geht es deiner Schwester?»
«Weiß der Teufel», sagte Don Antonio. «Ich habnach der Nichte gerufen, und auf einmal ist sie hier aufgetaucht.» Er schüttelte den Kopf. «Stell dir das vor: Sie kocht für mich, sie wäscht für mich, kauft ein, putzt und tut wer weiß noch was. Die Angelegenheit von damals erwähnt sie mit keinem Sterbenswörtchen, so als hätte es die letzten siebenundzwanzig Jahre nicht gegeben.»
«Junge, ich kann darin nichts Schlechtes sehen. Offenbar will sie euren Streit von damals begraben.»
Don Antonio warf dem Geist Don Ignazios einen nachdenklichen Blick zu. «‹Begraben› ist das Stichwort, alter Mann», sagte Don Antonio, und seine Gedanken wanderten weit weg, auf eine Beerdigung vor siebenundzwanzig Jahren, bei der ihm seine Schwester Maria verboten hatte, die Grabrede auf ihren Sohn zu halten, weil es keinen gerechten Gott geben konnte, der einem das eigene Kind nahm. Und das hatte er ihr nicht verziehen, denn er wusste, dass sie recht hatte.
17
Es war Samstag und somit Markt auf dem Dorfplatz von Treviso. Neben frischen Lebensmitteln konnte man hier auch allerlei Nichtkulinarisches erstehen, so zum Beispiel chinesische Papierschirme, spanische Plastikfächer oder auch blaue Glasvasen made in Taiwan. Neben all diesen überaus nützlichen Dingen gab es auch einige Stände mit Kleidern, Hauskitteln, Strümpfen,Kinderwäsche und fleischfarbenen BHs für Damen mit besonders üppigem Brustumfang.
Heute war das Angebot etwas spärlich ausgefallen, denn auch Marktstandbesitzer machen einmal Urlaub, und somit war die Anzahl der Stände an diesem heißen Augustwochenende auf unter zwölf geschrumpft. Maria schlenderte neugierig hin und her, prüfte die Tomaten, kaufte eine halbe Wassermelone, ein Kilogramm Trauben und drei Pfund Kartoffeln, entschied sich gegen Hühnchen, aber für Kalbsschnitzel und war alles in allem recht zufrieden mit ihren Besorgungen. Da blieb sie plötzlich vor dem Stand von Salvatore Tarlo stehen.
Auf dem Wochenmarkt gab es jeden erdenklichen Unsinn zu kaufen, aber zwischendurch kam man bei jemandem vorbei, der so etwas wie Kunsthandwerk unter die Menschheit brachte, und das nahm sich gegen den üblichen Kitsch aus Fernost dann doch etwas interessanter aus. Bei Salvatore Tarlo war tatsächlich Qualität am Werk, und neben recht ordentlich gearbeiteten Schüsseln, Salatbestecken und Schalen verkaufte er auch Holzfiguren in Form von Eisbären, Wölfen, Katzen und Delphinen. Außerdem hatte Salvatore auch einige wunderschöne Madonnenstatuen im Angebot. Und auf diese heftete sich nun Marias Blick.
«Buon giorno!»
«Buon giorno, Signora, womit kann ich Ihnen dienen?» Salvatore Tarlo freute sich – endlich Kundschaft. Er sprang von seinem kleinen Hocker auf und lächelte die Dame vor ihm mit großer Begeisterung an.
«Ja, ich weiß nicht, ob Sie mir helfen können.» Maria sah den Schnitzer prüfend an.
«Das weiß ich auch erst, wenn die Signora mir sagt, was sie
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