Das Wunder von Treviso
Rolle spielen würde. Leise und vergnügt summend setzte sie ihren Spaziergang fort.
6
Vito führte selbstverständlich Glühbirnen in seinem Sortiment, aber in den vergangenen Jahrzehnten war es noch nie vorgekommen, dass jemand auf einen Schlag gleich dreiundzwanzig Stück benötigte. Bei dieser Zahlmusste selbst er passen und verwies Maria, die den schlechtbestückten Kronleuchtern in der Kirche von Treviso zu neuem Glanz verhelfen wollte, indem sie alle kaputten dreiundzwanzig Birnen auswechselte, an den Haushaltswarenladen der Gebrüder Fiorentini in Castello della Libertà.
Nachdem sie ihren Einkauf in Castello erfolgreich erledigt hatte, stieg Maria zufrieden in den Bus der Linie 174. Leider gab es an diesem Tag nur noch zwei freie Sitzplätze. Eine Pilgergruppe aus der Nähe von Bukarest hatte den Bus gestürmt, und Maria musste sich einen Weg durch den Mittelgang und haufenweise Gepäckstücke erkämpfen. Den wenigen Wortfetzen, die sie verstand, entnahm sie, dass der Reisebus der Pilger auf halber Strecke den Geist aufgegeben hatte und man nun auf ein öffentliches Verkehrsmittel nach Treviso umgestiegen war. Freundlich lächelnd drängelte sich Maria an einem gigantischen Schrankkoffer vorbei, um endlich einen Sitzplatz ganz hinten auf der linken Seite zu ergattern. Von hier, so dachte sie, hatte man den perfekten Ausblick. Tatsächlich hatte man das nicht, es war nur so, dass man von der linken Busseite aus einen heimlichen Blick auf Luigis Friseursalon werfen konnte, wenn der Bus durch Treviso fuhr, während die Römerstraße, die von der rechten Busseite aus zu bewundern gewesen wäre, Maria noch weniger interessierte als der Inhalt der Schrankkoffer der rumänischen Pilger.
Der Busfahrer hatte bereits den Motor angeworfen,als Ernesto Brasini um die Ecke des Rathausplatzes bog und wild gestikulierend dem Fahrer bedeutete, dass er auch noch mitfahren wollte. Ernesto Brasini war einer der wenigen Trevisaner ohne Führerschein und eigenes Auto und … nun ja, man wusste, warum. Glücklich ins Businnere gelangt, erkämpfte sich Ernesto den letzten freien Sitzplatz auf der hinteren Bank und ließ sich daraufplumpsen. Erst dann schaute er sich genauer im Bus um und blickte am anderen Ende der Rückbank in das höflich lächelnde Gesicht Marias. Und weil Ernesto einen guten Tag hatte und im Grunde ein liebenswerter Mensch war, wollte er der Schwester des Pfarrers etwas Gutes tun. Also brüllte er über drei rumänische Pilgerinnen hinweg: «Signora, wollen Sie sich nicht hierhin setzen? Hier hat man die bessere Aussicht. Kommen Sie, wir tauschen!»
«Nein, vielen herzlichen Dank, das ist wirklich nicht nötig», sagte Maria.
«Doch, doch, Signora, ich bestehe darauf!»
«Nein, wirklich, Signor Brasini, ich bin hier bestens aufgehoben.»
«Kommen Sie, Signora, von hier aus kann man die Römerstraße bewundern. Die ist was Besonderes, das sieht man nicht alle Tage.»
«Nein, Signor Brasini, im Ernst, ich bleibe lieber hier sitzen.»
«Aber Signora, Sie verpassen den Blick auf die Römerstraße!»
«Danke, ich gönne Ihnen den Blick sehr.»
Wenn Höflichkeit je an die Grenze zur Erbarmungslosigkeit gelangte, dann jetzt. Als Ernesto Brasini mit grimmigem Lächeln aufstand, wusste Maria, dass sie verloren hatte. Sie bugsierte ihren Hintern, ihre Handtasche und die Tüte mit den dreiundzwanzig Glühbirnen über die drei Pilgerinnen hinweg und nahm auf dem Sitz der rechten Busseite Platz, während Ernesto Brasini links zu sitzen kam. Als der Bus der Linie 174 an Luigis Friseursalon vorbeifuhr, hatte Maria sämtliche Römer von Oktavian bis Romulus verflucht.
7
Diesen Oktober brach also das Chaos über Don Antonio herein. Es kam im penetranten Klingeln des Telefons daher, dessen Hall den Pater nun täglich etwa zwanzigmal in blanke Verzweiflung stürzte. Das Telefon sprach zu Don Antonio, und es sprach kein Italienisch. Vielmehr ereilten den Pater Anrufe pilgerwilliger Christen ohne Italienischkenntnisse aus aller Welt. Die Gespräche verliefen in etwa so:
«Pronto?»
«Hallo?»
«Sì, pronto?»
«Hallo, hallo?»
«Sie sprechen mit der Nummer Treviso – 78 85 63. Mit wem spreche ich?»
«Hallo?»
«Madonna, wer ist denn da?»
«Sì, ja, Madonna!»
«Was?»
«Hä?»
«Was wollen Sie?»
«Madonna?»
Es war einfach entsetzlich. Gestern war es ein kroatischer Mönch gewesen, dem er nach minutenlangem Gespräch endlich klarmachen konnte, dass Treviso über kein Bed & Breakfast
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