Das Wunder von Treviso
kann ich für Sie tun?», wandte sich Mario an Emmanuele Benito Longhi und seine drei Handlanger, die in seinem Büro Platz genommen hatten und die er wohl oder übel gleichfalls mit Caffè Coretto und Biscotti bedienen lassen musste.
«Signor Fratelli, ich komme in dringlicher Mission. Wie Sie ja wissen, ist Treviso in den letzten Wochen plötzlich und für uns alle unerwartet in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Die weinende Madonna», und bei dem Wort «weinende» zog Bürgermeister Longhi ironisch die Augenbrauen hoch, «hat in kurzer Zeit eine Menge Touristen angelockt. Das ist natürlich erfreulich für Treviso, aber …» Mario war sich nicht im Klaren, worauf der Bürgermeister von Castello hinauswollte, nickte aber weise lächelnd zu den Aussagen seines Gegenübers und fragte sich insgeheim, wann und wie er die Herren schnellstmöglichwieder loswerden konnte. Einen dringenden Termin vortäuschen? Familiäre Verpflichtungen?
Immer lächeln, Mario, immer lächeln, sagte er sich im Stillen, während er weghörte. Und dann dachte er noch: Emmanuele Benito Longhi, du bist wirklich der größte Idiot unter der Sonne und redest nur Mist. Wieso muss ich mich überhaupt mit dir befassen, du alternder Faschistenarsch aus Castello della Leckmichichhördirehnichtzu. – Das hätte Mario Fratelli aber besser getan, denn dann hätte er gewusst, was Longhi von ihm wollte, als der seine Ausführungen mit den Worten schloss, er hoffe ganz auf Marios Zustimmung.
«Äh, nun ja …», antwortete Mario Fratelli und überlegte fieberhaft, was ihm der Bürgermeister von Castello gerade vorgeschlagen hatte. Ach, egal, erst mal alle Entscheidungen verschieben!
«Herr Bürgermeister», und bei diesen Worten erhob sich Mario, knöpfte sein Jackett zu und reichte Emmanuele Benito Longhi die Hand, «Sie werden verstehen, dass ich keinerlei Entscheidungen treffen kann, ohne den Gemeinderat mit dieser Frage zu betrauen. Bitte haben Sie etwas Geduld. Ich melde mich dann gegebenenfalls bei Ihnen.»
«Gewiss, gewiss. Ich hoffe, ich höre sehr bald von Ihnen. Und grüßen Sie mir Ihre Frau Gemahlin.» Und damit waren Emmanuele Benito Longhi und seine drei schweigenden, aber umso eifriger nickenden Gesellen auch schon wieder aus dem Büro des Bürgermeisters Mario verschwunden. Der wandelte ins Vorzimmer zuseiner Sekretärin Silvia und holte sich gerade eine weitere Portion Kekse ab, als Silvia plötzlich in die Luft ging.
«So ein unverschämter Bastard!» Mario war richtiggehend erschrocken ob des emotionalen Ausbruchs seiner sonst so gelassenen Assistentin. «Was fällt dem eigentlich ein?» Und nun fragte sich Mario tatsächlich, was denn um Himmels willen dieser Longhi zu ihm gesagt hatte. Silvia schien es jedenfalls zu wissen. Also pflichtete Mario ihr schuldigst bei und fragte sie, wie sie denn die Sache sehe, woraufhin seine Sekretärin ihm erklärte: «Also, wenn dieser Faschist glaubt, er kann uns dazu bringen, das Wunder von Treviso an ihn abzutreten, indem wir großartig verkündigen, dass Mussolini damals die Madonna gestiftet hätte, dann hat er sich geschnitten!»
An diesem Tag beschloss Mario Fratelli, nie wieder vor ein Uhr mittags Caffè Coretto zu trinken, denn wenn das nächste Mal so ein Hurensohn seinen Arsch in sein Büro bewegte, dann würde er nüchtern genug sein, um denselbigen mit einem Tritt hinauszubefördern.
5
Es begann sich zu verändern, ganz langsam nur, aber doch für alle sichtbar. Treviso wurde zu einem lebendigen Ort. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten, etwadass man die Straßenbeleuchtung statt gegen elf erst gegen zwei Uhr nachts abdrehte, wodurch sich die Pilger in Treviso sicherer fühlten, man aber gleichzeitig etwas schlechter schlief. Dann war es die Müllabfuhr, die nicht mehr nur einmal im Monat, sondern jede zweite Woche kam, wodurch das Dorf ein bisschen sauberer wurde und besser roch. Und dann kamen die großen Veränderungen, wie zum Beispiel die Wiedereröffnung des Blumengeschäfts. Ernesto Brasini hatte doch noch einen Nachfolger gefunden, seinen Neffen dritten Grades aus Positano, der mit seiner jungen Familie nach Treviso zog. Nun musste man die Blumen für den Altar, die Blumenspenden der Pilger und seine Topfpflanzen für den Balkon nicht mehr vom Händler in Castello beziehen, sondern konnte sie vor Ort kaufen.
Mario Fratelli hatte das Pissoir neu streichen und instand setzen lassen, das heißt, es war jetzt kotzgrün statt ockergrau und nahm sich
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