Das Wunder von Treviso
jemand im Haus befinden könnte, doch als sie das kleine Licht im Flur aufdrehte, hörte sie deutlich jemanden atmen. Irgendwer saß dort in
ihrer
Küche und keuchte. Mehr als über den Umstand, dass es sich dabei womöglich um einen Einbrecher handelte, war Rosa darüber entsetzt, dass dieser es wagte,in
ihr
Haus einzubrechen, weshalb die Empörung sehr schnell über die Angst triumphierte und Rosa entschlossen das Licht in der Küche anknipste, ihre medizinische Krücke im Anschlag, bereit, sie gegen jeden Angreifer einzusetzen, der sich ihr im Neonlicht offenbaren würde. Was Rosa vorfand, waren dagegen ein vollkommen betrunkener Don Antonio, zweieinhalb leere Flaschen Messwein und ein Glas, das in einer roten Lake auf dem Küchentisch schwamm. Der Pfarrer hatte es mit einem schwungvollen Ruck abgesetzt, als das Licht plötzlich angegangen war. Rosa entfuhr ein kleiner Schrei und dann ein vorwurfsvolles «Aber Don Antonio!». Der starrte sie zunächst ungläubig an, hob schließlich grimmig lächelnd sein Glas und brüllte: «Rosa Fiorentini! Bereue deine Sünden, du altes Schrapnell! Das Ende ist nah!»
Später wusste Rosa nicht mehr zu sagen, was sie mehr aufgeregt hatte, die Rotweinpfütze auf
ihrem
Küchentisch oder der volltrunkene Pfarrer. In jedem Fall drehte sie ohne eine Erwiderung auf dem Absatz um und machte, dass sie davonkam, während Don Antonio ihr laut hinterherschrie: «Und den Schlüssel gibst du mir auch ab, Weib!»
Aufgeregt hechelte Rosa die Straße hoch und war gerade im Begriff, die Trattoria zu stürmen, um dort zu berichten, was sie gesehen hatte, als ihr plötzlich klarwurde, dass sie damit nicht nur den Ruf Don Antonios, sondern auch ihren eigenen aufs Spiel setzen würde, denn immerhin war sie nicht ganz legal in das Haus gelangt.Und Rosa wollte sich auf keinen Fall nachsagen lassen, dass sie eine Schnüfflerin sei. Also trat sie vom Eingang der Trattoria wieder zurück und machte sich kopfschüttelnd und leise vor sich hin schimpfend auf den Weg zurück zum Pfarrhaus, denn in der Eile hatte sie ihre medizinische Krücke dort vergessen. Es war ja nicht so, dass sie sie unbedingt gebraucht hätte, aber es war
ihre
, und wenn sie im Pfarrhaus schon nicht mehr willkommen war, so wollte sie dort erst recht nicht ihr Eigentum zurücklassen.
Als Rosa wieder vor der Hintertür des Pfarrhauses stand, war es diesmal hell erleuchtet. Rosa klopfte, aber es öffnete niemand. Rosa klopfte erneut, und wiederum regte sich nichts. Zwar besaß sie noch den Schlüssel, aber den wagte sie nun nicht mehr zu benutzen. Also schimpfte sie immer lauter vor sich hin, dass sie ihre Krücke brauche und dass sie diese nun auf der Stelle wieder zurückwolle, aber auch jetzt blieb die Tür verschlossen. Nach einigen Minuten zog Rosa von dannen und trat zunehmend humpelnd und immer lauter werdend den Weg nach Hause an. Wer sie an diesem Abend auf der Straße sah, machte sich ernsthaft Sorgen um Rosa Fiorentinis mentale Verfassung. Nie hätte jemand vermutet, dass Don Antonio sich weit eher am Rande des Nervenzusammenbruchs bewegte als seine ehemalige Haushälterin, denn der holte sich gerade Rat bei einem Untoten.
2
«Wo steckst du, du alter Hurensohn?», brüllte Don Antonio durch die Krypta. Beinahe hätte er in seinem Zustand den untersten Treppenabsatz übersehen und wäre auf den Steinboden gefallen, hätte er sich nicht im letzten Augenblick an einer aufgerichteten Grabplatte festgehalten.
«Was willst denn du hier, noch dazu zu so nächtlicher Stunde?» Don Ignazio war leicht irritiert, weniger des Hurensohns als der nächtlichen Ruhestörung wegen.
«Reinen Dat!», stammelte Don Antonio.
«Die Praxis ist geschlossen, kommen Sie in einigen Jahren wieder vorbei.»
«Mach keine Witze, alter Mann, ich bin am Arsch!» Don Antonio ließ sich auf den kalten Boden plumpsen.
«Wenn du da sitzen bleibst, holst du dir den Tod», stellte Don Ignazio fest. Daraufhin brach Don Antonio in ein leicht hysterisches Gekicher aus, das sich erst beruhigte, als Don Ignazio ihm androhte, sich gleich unsichtbar zu machen, wenn Don Antonio nicht endlich mit der Sprache herausrücke. Er habe auch noch anderes zu tun, als seinem betrunkenen Nachfolger seelischen Beistand zu leisten.
«Der Bischof», brach es schließlich aus Don Antonio hervor, «er gedenkt uns morgen einen Besuch abzustatten und mit de Renzi
persönlich
die Madonna zu inspizieren. Sie wollen sie noch einmal in Augenschein nehmen.»
«Ja, und? Glaubst du,
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