Das Wunder von Treviso
auch noch der Besuch des womöglich prominentesten Pilgers, der je den Weg nach Treviso gefunden hatte, entgangen.
Verschwitzt und keuchend kam Mario gerade noch rechtzeitig bei der Bushaltestelle an, um den erfreuten Mitgliedern der spanischen Pilgergruppe die Hand zu schütteln und sie persönlich zu begrüßen. Dabei ließ es sich der Bürgermeister nicht nehmen, auch ein paar Worte auf Spanisch an seine Gäste zu richten und ihnen einen spirituell erfüllten, wunderbaren Aufenthalt in seinem Treviso zu wünschen. Als die Gäste begannen, das Gepäck aus dem Kofferraum des Busses zu hieven, fragte er den Busfahrer dezent, wer denn nun der Cousin des spanischen Königs sei. Mit einem unbeeindruckten Kopfnicken deutete der Fahrer auf einen älteren Herrn, dessen Ehefrau ihm gerade aufgeregt Zeichen gab, dass er sich bei der Gepäckausgabe vordrängeln solle.
«Der da», sagte er. «Aber er ist nicht der Cousin des spanischen Königs. Er ist nur der persönliche Adjutant des Cousins des spanischen Königs.»
Offensichtlich reichte dies, um die Ehefrau des persönlichen Adjutanten des Cousins des spanischen Königs davon zu überzeugen, dass sie bei der Gepäckausgabe zu bevorzugen sei. Mario dagegen war der Auffassung, dass in diesem Fall auch das grüne Hemd ausgereicht hätte, und er machte sich etwas enttäuscht auf den Weg zur Trattoria. Jetzt konnte er wenigstens das Fußballspiel gucken.
4
Francesco de Renzi beabsichtigte keineswegs, den Spielverderber abzugeben, denn das war genau das, was die Menschen für gewöhnlich von ihm erwarteten. Doch was zu viel war, war zu viel. Nach dem dritten «Hoch sollen sie leben!» aus vollen Kehlen, das ihn bei seiner Meditation störte, schwor er sich, nie wieder einen Fuß in dieses Dorf zu setzen. Beim fünften Mal war er schon sicher, dass es mit etwas Überredungskunst möglich wäre, den Heiligen Vater von der Exkommunikation der gesamten Gemeinde zu überzeugen. Beim achten Mal beschloss er, hinunterzugehen und dem Treiben ein Ende zu setzen.
Als Francesco de Renzi die Tür zur Schankstube aufstieß, prallte er beinahe frontal mit einem strahlenden Bürgermeister zusammen. Der war bester Laune und damit offenbar nicht allein, denn die ganze Trattoriavibrierte von den Rufen, dem Lachen und dem Gläserklirren der Trevisaner, die sich heute scheinbar alle zur selben Zeit bei Massimo eingefunden hatten, um gemeinsam das Fußballspiel zu sehen. Doch der Eindruck täuschte, denn tatsächlich hatte der Zustrom in die Trattoria erst mit der offiziellen Verlobung von Maria und Luigi eingesetzt, und nun wollten sich alle mit den beiden freuen, nach Möglichkeit laut, fröhlich und leicht betrunken.
Etwa eine Stunde zuvor hatten Maria und Luigi in der Trattoria Platz genommen und ihr erstes Glas Wein bestellt, als Massimo verkündete, dass das Spiel zwischen AC Milan und Inter Mailand in wenigen Minuten beginne und er jetzt für die nächsten fünfundvierzig Minuten die letzte Bestellung entgegennehme.
Während Massimo also, der selbstverständlich ein Fan des Inter Mailand war, zur Fernbedienung griff, um den Ton lauter zu stellen, verfluchte Luigi im Stillen die Tatsache, dass es in Treviso kein anderes Restaurant gab. Diesem Höllenlärm waren seine romantischen Absichten nicht gewachsen. Der Ring, den er vor wenigen Stunden in Vicenza für Maria gekauft hatte, lag schwer in seiner Jackentasche, und er hätte sich gewünscht, das Ganze doch in einem privateren und bei weitem leiseren Rahmen über die Bühne zu bringen. Aber als er Marias erwartungsfrohen Blick sah, wusste er, dass er es weder ihr noch sich selbst antun könnte, den Antrag in die Länge zu ziehen. Und noch bevor der Schiedsrichter das Spiel angepfiffen hatte, erhob er sich von seinemStuhl, ging die zwei Schritte um den Tisch herum, kniete sich vor Maria auf den Boden der Trattoria und hielt ihr den Ring wortlos entgegen.
Schlagartig wurde es still, als sich alle Blicke im Raum auf das Paar an Tisch fünf richteten, und nur der Kommentator des bevorstehenden Schlagabtauschs zwischen AC und Inter kreischte noch in sein Mikrophon: «Welch eine Spannung hier im Stadion und draußen an den Bildschirmen! Meine Damen und Herren, wir sind gespannt, was der heutige Abend bringen wird, und da ist er auch schon, der …» Massimo drehte den Ton ab. Und so konnten es alle hören, als Maria Luigis Antrag annahm, indem sie ihn laut und beherzt auf den Mund küsste. Erst dann brach allgemeiner Jubel los, flogen
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