Das wunderbarliche Vogel-Nest
Stück war / das mir mancher grosser Herr mit vielem Geld zu seiner Kurtzweil gar theuer bezahlt haben würde: sondern auch daß es einen in Nöthen erretten und auß aller Menschen Gewalt erlösen konte; da ich aber bedachte / was vor grosses Unglück es zur Welt gebären mögte / wann es in eines gewaltigen Herrn Händen wäre und vielleicht mißbraucht würde; zumalen daß ich mich in meinen Nöthen nicht auff diß Vogel-Nest / sondern auff die Hülffe meines getreuen GOttes verlassen solte / ich wolte dann diß Nest höher als GOtt achten / welches aber die gröste Abgötterey von der Welt wäre; Sihe so fällete ich das Urtheil darüber / daß es unverweilet cassiret und vertilgt werden solte / nahme es derowegen auß meinem Busen hervor / und zerrisse es wol zu sibenzehenhundert Fetzen.
Gehe hin / sagte ich / deinet halben soll hinfort keines Menschen Heimligkeit durch einen andern gesehen und offenbaret werden; durch dich soll hinfort niemand mehr weder umb Essen noch Trincken / vielweniger umb Geld bestohlen werden; du solst hinfort weder Manns- noch Weibsbildern den Weg zeigen noch Ursach und Gelegenheit geben / sich im Werck der Unkeuschheit unordentlicher Weiß zu besudeln; du solst weder mir noch einem andern Menschen seine eigene Schelmstück / Hurenstück und Diebsgriff mit Unsichtbarkeit bedecken / vielweniger anderen die ihrige / die im finstern oder heimlich geschehen / durch finster unsichtbare Gegenwart ans Taglicht bringen / dann GOtt / der alles siehet / der alles höret / der alles verhängt und zuläst / dem alles bewust ist / hat ihm allein durch seinen allerweissesten Rath solche Wissenschafft vorbehalten / der auch alles zu seiner Zeit nach seinem Göttlichen Willen eröffnen / oder verbergen und vergeben / richten / straffen oder belohnen wird.
Als ich nun solcher gestalt meinem Vogel-Nest seinen ehelichen Abschied gegeben / erinnerte ich mich auch deß Guten so ich durch selbiges zu lernen und zu begreifen Anlaß bekommen / seit ichs in Händen gehabt; nehmlich daß der jenig sicher wandele / der GOttes Gegenwart allezeit vor Augen hielte / böse Gesellschafften fliehe / die possirlich scheinende Ader vor Suspect halte / ihme selbst nimmermehr traute / den überflüssigen Trunck zu besserer Verwahrung seiner Sinnen vermeide / und im übrigen von allen Creaturen / ja von allem dem was ihm vorkommt / was er höret und siehet / etwas guts unterstehen zu lernen / welches ihm zur Ehr und dem Dienst GOttes reichet und beförderlich zu seiner Seelen Seligkeit aber ersprießlich seyn mögte.
Weilen sich dann eben ein grosser Ameyssen-Hauffe neben mir fande / dessen Jnwohner überauß geschäfftig waren allerhand Materialia , und sonderlich das Genist von dem zerrissenen Vogel-Nest einzutragen; so sahe ich deren emsigen Fleisse und unverdrossene Arbeit mit Verwunderung zu / und erinnerte mich deß Spruchs Salomonis / da er sagt / gehe hin du Fauler zu den Omeysen / etc. da beobachtet ich / wie eine der andern so vernünfftig auß dem Weg wiche / wie eine der andern ihren Last tragen halffe / wie sie alle so einmüthig waren ihre Arbeit zu befördern / und so fortan; darauß nun faste ich allerhand schöne Lehren / und nahm mir einen gantzen Hauffen guts Dings hinfort zu vollbringen vor; Jch wolte hinfort arbeiten daß mir die Schwarte krachen mögte / umb mich ehrlich zu ernähren und niemand beschwehrlich zu seyn; Jch wolte meinem Neben-Menschen künfftig nachgeben und nicht allein gern ausweichen / sondern auch darzu den Last seiner Mängel auß Christlicher Liebe gern gedulten / und an seiner Beschwerung tragen helffen; und in solcher Ubung mit einem dermassen unaussetzlichem Fleiß so beständig verharren / daß mir das gantze Reich der Omeysen an dem grossen Tag / daran aller Menschen Thun und Lassen examinirt / durchforschet / gerichtet / belohnet und gestrafter werden sollen / das Geringste nicht vorzuwerfen hätte; dann ich sahe nunmehr wol / wann man ein Ding anfahet und nicht endet / daß es nichts mehrers ist / als wann mans gleich anfänglich gar unterwegen gelassen; und also war vor dißmal das Vornehmste / daß ich die Beständigkeit æstimir en lernete.
Aber! O seltene Tugend / ich vertiefte zwar mich damals in deiner Betrachtung so weit / daß ich wol drey Stund auff einem Sitz mit dir zubrachte / und mir vornahm mich in meinem festen Vorsatz gleichsam mit dir / wie in einem unzertrenlichen Ehestand / zuverewigen / ja ich hätte auch noch länger in meiner dasigen Speculation
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