Das zarte Gift des Morgens
Ihre Ermittlungen jetzt vielleicht in eine ganz andere Richtung gehen. Ich sagte zu ihm: Bleib ruhig, Max, reg dich nicht auf. Lass uns lieber etwas trinken. Wir tranken, und er aß etwas von dem Tajin hinterher. Er sagte, es schmecke gar nicht so übel, eigentlich richtig lecker. Er hat noch darüber gewitzelt, dass Tintenfische und Jakobsmuscheln angeblich die männliche Potenz erhöhen.«
»Hat er viel gegessen?«, fragte Kolossow.
»Jedenfalls genug.« Simonow grinste schief. »Und es war das einzige Gericht, das außer ihm niemand sonst gegessen hat.«
»Was passierte danach?«, fragte Katja.
»Danach bin ich zusammen mit Studnjow in die Bar gegangen, wir haben noch einen Cocktail getrunken, aber dann konnte ich ihn nicht länger zurückhalten. Er ist Aurora hinterher. Allerdings war er ziemlich schnell wieder da, und mit einem Gesicht, dass man ihm besser nicht zu nahe trat, sonst hätte er einen erschlagen. Nun, und dann kam Aurora wieder an den Tisch zurück. Ebenfalls mit einer solchen Flappe und in einer Laune, dass es mit unserer kleinen Feier dann schnell vorbei war. Sie fing an, hysterisch zu schluchzen, alle bemühten sich, sie zu beruhigen, und dann brachen die Leute auch schon auf.«
»Und Aurora hat ihr Essen nicht mehr angerührt?«, fragte Katja.
»Nein. Mariascha . . . Maria Sacharowna hat noch versucht, die Wogen zu glätten, alles wieder ins Lot zu bringen, aber der Abend war unwiderruflich verdorben.«
»Und was hat Studnjow getan?«
»Der hat sich in der Bar mit Kognak voll laufen lassen. Dann ist er nach Hause gefahren. Als er ins Auto stieg, bin ich zu ihm hinausgegangen. Ich sah, dass seine Augen ganz glasig waren. Der ist hinüber, habe ich noch gedacht. Ich habe ihm sogar angeboten, beim Autoservice anzurufen, um ihn nach Hause bringen zu lassen. Aber er hat mich zum Teufel gejagt. Getobt hat er vor Wut. Und dann musste er sich direkt auf der Straße übergeben. Anschließend ist er nach Hause gefahren. Danach habe ich ihn nicht mehr lebend gesehen.«
Simonow verstummte und zündete sich eine neue Zigarette an.
»Sie glauben also, bei diesem Abendessen sollte gar nicht Studnjow, sondern Aurora vergiftet werden?«, fragte Katja vorsichtig.
»Ich habe erzählt, was sich abgespielt hat und was ich gesehen habe«, antwortete Simonow. »Die Schlussfolgerungen, Frau Hauptmann, müssen Sie selber ziehen.«
»Und Sie . . . haben Sie an diesem Abend viel getrunken?«, wollte Katja wissen.
»Ein ganzes Fass – oder was wollen Sie hören? Aber ich war noch imstande, einen Adler von einem Storch zu unterscheiden.« Simonow schüttelte den Kopf. »Nein, meine Liebe, kommen Sie mir nicht mit dieser Tour. Sie können ja Mochow fragen – er hat auch alles gesehen und kann es bestätigen. Wenn er will, versteht sich.«
»Werden Sie Ihre Aussagen vor der Staatsanwaltschaft wiederholen?«, fragte Kolossow.
Simonow zuckte die Schultern.
»Was konkret meinen Sie?«
»Dass das Tajin Aurora von der Kellnerin Jelena Worobjowa serviert wurde?«
»Hör mal, mein Junge, was immer du bist, ich kenne deinen Rang nicht, Hauptmann oder Major«, Simonow drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus, »lass dir eins gesagt sein: Jelena hat uns alle bedient. Und wir sind alle noch gesund und munter. Dieses Fischragout haben die beiden Köche zubereitet. Und der eine von ihnen ist ein ausgezeichneter Kenner der maghrebinischen Küche. Er heißt Lew Saiko. Entschuldigen Sie die indiskrete Frage, aber haben Sie mit ihm schon gesprochen?«
»Ja, das haben wir. Kurz«, erwiderte Kolossow.
»Kurz? Ich verstehe.« Simonow seufzte. »Da haben Sie nun über mich alle möglichen Märchen gesammelt, aber wissen Sie, ich kann Ihnen auch eine nette kleine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht erzählen. Sie handelt von einem russischen Koch, der im Restaurant eines Fünfsternehotels in Marokko arbeitete. Er wurde mit Schimpf und Schande von dort verjagt, weil er in eine äußerst dunkle Sache verwickelt war. Es ging um den Tod eines Gastes.« An dieser Stelle beugte sich Simonow zu Katja hinüber und senkte seine Stimme zu einem theatralischen Flüstern. »Dieser Gast wurde, wenn man den Gerüchten glauben darf, vergiftet.«
27
Das Restaurant »Rashomon« befand sich im Gebäudekomplex eines Sport- und Erholungscenters in Serebrjany Bor. Von der ganz in gebeizter Kiefer gestalteten Terrasse öffnete sich eine malerische Aussicht auf die Moskwa und das waldbestandene Ufer. Das Restaurant selbst war ein langes,
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