Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
Vom Netzwerk:
streiten. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben – es stimmt, die Mädels waren verrückt nach ihm, sie haben sich ihm regelrecht an den Hals geworfen und ihm vieles verziehen. Und er liebte die fleischlichen Genüsse, gierte geradezu danach. Er war überhaupt ein gieriger Mensch. Das ist auch der Grund, warum der arme Kerl umgekommen ist.«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Kolossow. »Wovon reden Sie, Serafim Nikolajewitsch?«
    »Ah, endlich fällt Ihnen wieder mein Vor- und Vatersname ein. Dabei bin ich doch bloß ein Söldner, eine käufliche Kreatur . . .« Simonow schüttelte traurig den Kopf.
    Je länger Katja ihn beobachtete, desto klarer wurde ihr, dass der Mann, der vor ihnen saß, zwar sehr charmant war, aber alle Merkmale eines Gewohnheitstrinkers aufwies. Seine Art zu reden, die abrupten Stimmungsumschwünge, die rhetorischen Fragen, die Grimassen – alles ganz typisch. Ja, diese unerfreuliche Tatsache musste man berücksichtigen. Eigentlich schade . . .
    »Serafim Simonow hat Ihrer geschätzten Behörde tatsächlich etwas Wichtiges mitzuteilen«, verkündete Simonow. »Und er legt Wert darauf, höflich behandelt zu werden. Er ist kein Trottel und auch keine käufliche Kreatur, wie einige hier zu glauben scheinen.«
    »Niemand hier glaubt das«, widersprach ihm Katja temperamentvoll. Sie war inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass man im Gespräch mit einem Alkoholiker eine andere Strategie wählen müsse. »Wenn ich Sie gekränkt habe, war es unbeabsichtigt, entschuldigen Sie bitte. Sie haben eben etwas von einer besonders wichtigen Frage gesagt. Lassen Sie uns nicht im Dunkeln tappen und sagen Sie – was ist das für eine
    »Das, meine entzückende Frau Hauptmann, ist die Frage, die Sie mir gleich zu Beginn hätten stellen müssen – was habe ich, Serafim Simonow, gesehen, als ich mit Maxim Studnjow zusammen am selben Tisch saß?«
    »Und was haben Sie so Interessantes gesehen?«, brummte Lessopowalow misstrauisch.
    »Alles. Ich habe gesehen, wie es passiert ist.«
    »Sie haben gesehen, was Studnjow an diesem Abend gegessen hat?«, fragte Nikita rasch.
    »Wir haben beide das Gleiche gegessen – gebratenen Hammel. Getrunken haben wir . . . nun, ich will nicht lügen, getrunken haben wir alles Mögliche. Sowohl bei Tisch wie auch später in der Bar. Aber wie Sie sehen, bin ich noch am Leben.« Simonow blickte sie erwartungsvoll an. »Na? Ich höre ja Ihre nächste Frage gar nicht – wieso ich noch lebe, Studnjow aber nicht.«
    »Und wieso?«, fragte Katja, die entschlossen war, Simonow vorerst alles durchgehen zu lassen. Kolossow wechselte einen ärgerlichen Blick mit Lessopowalow. Die beiden verloren allmählich die Geduld.
    »Weil ich eine entspannte Einstellung zum Leben habe und Gier verachte. Ich stochere bei Tisch nicht auf fremden Tellern herum. Das ist meine gute Kinderstube, wissen Sie.«
    »Bitte, erläutern Sie das genauer!«, bat Katja.
    »Aber gern. Wie hat sich denn alles tatsächlich abgespielt? Aurora wollte nicht essen, was auf der Speisekarte stand, sondern hat sich Fisch-Tajin bestellt. Sie ist ja so aufgeklärt und fortschrittlich – kein Fleisch, keine Süßigkeiten, keine Mehlspeisen, und die Kalorien zählt sie mit ihrem Notebook. Aber das ist nicht der springende Punkt. Wir alle haben das Spezialgericht des Hauses gegessen – Hammel, den Poljakow direkt im Speisesaal für uns zubereitet hat. Schmeckt wirklich super, das kann ich Ihnen sagen, aber Aurora hat für sich ›etwas Leichteres‹ verlangt.« Simonow äffte die Sängerin verächtlich nach. »Na, nach einigem Warten hat man ihr dann dieses Tajin aus Meeresfrüchten gebracht.«
    »Wer hat es gebracht? Wer hat serviert?«, fragte Nikita.
    »Lena hat serviert. Sie war an diesem Abend für unseren Tisch zuständig«, antwortete Simonow widerwillig. »Aber Aurora ist gar nicht dazu gekommen, diesen Meeresfirlefanz zu probieren. Ihr Handy klingelte, sie wurde sofort ganz nervös, sprang auf und rannte mit dem Telefon auf und davon. Der Anrufer war ihr Ex-Mann Gussarow. Hat ihr mal wieder eine Szene gemacht.«
    »War Aurora lange weg?«, fragte Katja.
    »Zwanzig Minuten.«
    »Und was geschah in dieser Zeit am Tisch?«
    Simonow blickte Katja an.
    »Endlich eine vernünftige Frage. Darauf habe ich schon lange gewartet. Vergessen Sie nicht, ich habe alles mit eigenen Augen gesehen. Wir saßen am Tisch, Aurora war verschwunden. Studnjow wollte ihr nach, aber ich hielt ihn zurück. Hätte ich das damals nicht getan, so würden

Weitere Kostenlose Bücher