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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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was – jetzt hast du enorme Ähnlichkeit mit meinem Mann. Genauso ein Holzkopf. . . Wo hat man uns eigentlich rausgesetzt? Ist das hier Lushniki?«
    »Ich halte ein Auto an und bringe dich nach Hause«, sagte Nikita.
    Es war schon weit nach Mitternacht, als sie endlich in einem Privattaxi, einem uralten verbeulten Shiguli, vor Katjas Haus anlangten, dort, wo ihre Flussfahrt begonnen hatte. Kolossows eigener Wagen stand noch am Kai.
    »Gute Nacht, Nikita«, sagte Katja. »Leg dir eine Kompresse mit kaltem Tee aufs Auge, sonst erschreckst du morgen das ganze Präsidium.«

8
    Um neun rief Kolossow im Präsidium an und teilte mit munterer, freudiger Stimme mit, dass er seit heute Morgen in Moskau in der Mordsache Studnjow unterwegs sei.
    »Na, Nikita, haben die Unsrigen gestern gewonnen?«, fragte der Diensthabende.
    »Wer soll gewonnen haben?«
    »Sie klingen so gut gelaunt. Haben wir’s den Tschechen gezeigt? Ich war auf der Datscha, und mein Fernseher dort hat den Geist aufgegeben. Wie ist das Spiel ausgegangen?«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Kolossow. »Ich hab gestern auch nicht ferngesehen.«
    Er fuhr wieder über den Frunse-Kai. Seine Stimmung wurde noch besser. Fast war er dem zu früh dahingegangenen Studnjow und dessen tückischem Giftmörder dankbar, weil Letzterer das Verbrechen so geplant hatte, dass die Spur ausgerechnet hierher führte, in ein Restaurant, das nur wenige Schritte von Katjas Haus entfernt lag.
    Tausendmal hatte Kolossow sich geschworen, sich endlich keine Hoffnungen mehr zu machen! Aber der gestrige Abend auf der Moskwa, die Lichter auf den Sperlingsbergen raunten ihm gleichsam ins Ohr: Wart’s nur ab, vielleicht gibt es auch in deiner Straße bald etwas zu feiern?
    Das Restaurant befand sich im Souterrain eines mächtigen Steinklotzes aus der Stalinzeit, eines ehemaligen Regierungsgebäudes. Gegenüber, auf der anderen Seite der Moskwa, schimmerte grün der Neskutschny-Garten, man blickte auf Anlegestellen und Ausflugsdampfer. Weiter links sah man den Vergnügungspark mit der Achterbahn. Im nächsten Häuserblock wohnte Katja. Noch ein Stück weiter erhob sich das imposante Gebäude des Verteidigungsministeriums.
    Rosa-goldene Neonröhren formten den Namen des Restaurants: »Al-Maghrib«. Der Schriftzug lehnte sich im Stil an arabische Schriftzeichen an. Aber auffälliger noch als die Neonreklame waren die altertümliche Eichentür, die in die mit grauem Friedhofsgranit verkleidete Hausmauer eingelassen war, eine Tür mit schmiedeeisernen Beschlägen und Riegeln, die braungelb gefliesten Stufen, die sich von dem grauen Moskauer Asphalt lebhaft abhoben, die schmalen Fenster, halb verdeckt von schweren Fensterläden aus Eichenholz, und die in Bronze gefasste Laterne unter dem Vordach am Eingang: ein verschlungenes orientalisches Muster aus Blättern und Gräsern, farbiges Glas – himmelblau auf goldenem Grund.
    Vor dem Restaurant parkten mehrere Wagen, hauptsächlich ausländische Automarken. Zwei Mitarbeiter der Kripo saßen in einem Wagen an der Straßenecke und warteten schon auf Kolossow. Beide waren noch jung und unerfahren. Man sah sofort, dass sie keine große Hilfe sein würden. Sie gafften neugierig das Veilchen unter dem Auge ihres Chefs an. Kolossow setzte eine Sonnenbrille auf.
    »Besser so?«, fragte er und begrüßte die beiden. »Eure Aufgabe ist nicht schwierig: Einer bleibt im Auto und behält die Lage von außen im Auge, der andere kommt mit mir nach drinnen. Reden werde ich, Sie bleiben am Eingang und beobachten alles.«
    Sie gingen die steilen Stufen hinunter und kamen in ein kleines Vestibül, wo hinter einer Eichentheke ein grauhaariger älterer Portier saß und in den »Moskauer Komsomolzen« vertieft war.
    Als er die frühen Besucher erblickte, stand er freundlich lächelnd auf. »Bitte, treten Sie näher, herzlich willkommen.« In der Garderobe hing kein einziges Kleidungsstück. Offenbar bewachte der Mann jetzt im Sommer nur den Eingang.
    Der Portier öffnete eine weitere knarrende Eichentür, und Nikita betrat den Saal.
    Das »Al-Maghrib« beeindruckte ihn vom ersten Augenblick an. Ein so schickes und gemütliches Lokal hatte er noch nie gesehen. Ob nun seine gute Laune der Grund war, der Gedanke an Katja oder der Duft nach frischem, starkem Kaffee – aber Nikita war einfach hingerissen!
    Das Restaurant ähnelte weder den üblichen verqualmten, säuerlich riechenden Kellerkneipen noch dem vergoldeten Kaufmannskitsch und dem ganzen neurussischen Bombast des

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