Das zarte Gift des Morgens
Mitglieder des Politbüros gegessen und gelobt, und als der Schah zu Besuch war, hat man Poljakow in den Kreml geholt, und er durfte das Diplomatenfrühstück zubereiten. Mitleid solltest du mit ihm haben, statt ihn wegen jeder Bagatelle schlecht zu machen.«
»Was heißt hier Bagatelle! Wollen Sie etwa den Ruf des Restaurants aufs Spiel setzen, Maria Sacharowna?«
»Ist der Koch verliebt, ist die Suppe versalzen«, erwiderte Maria Sacharowna. Einen Augenblick später betrat sie den Saal. Über die Schulter rief sie noch zurück: »Zeig lieber, was du kannst, schließlich bist du doch ein Meister deines Fachs. Aber lass dieses Gepetze. Ich kann so etwas nicht ausstehen.«
Maria Sacharowna Potechina war dem Aussehen nach etwa funfundvierzig Jahre alt. Kolossow erblickte eine Frau, stattlich und rund wie eine Matrjoschka-Puppe und dabei wieselflink. Ihr dichtes dunkles Haar war zu einem Pagenkopf geschnitten, der lange Pony fiel ihr ständig ins Gesicht und verdeckte es halb. Das runde Gesicht war gepflegt, freundlich und klar. Maria hatte einen auffallenden großen Mund, der perlmuttschimmernde Lippenstift in dunklem Bordeaux-Rot von Chanel stand ihr ausgesprochen gut – eine Farbe, die fast niemand tragen kann, höchstens die große Coco selbst auf ihren stilisierten Porträts. Marias Augen waren schmal, orientalisch schräg geschnitten, und funkelten wie pechschwarze Schlitze aus den rundlichen, matt gepuderten Wangen. Volle, abfallende Schultern, breite Hüften, eine schwere Brust, zierliche, elegante kleine Hände mit langen, bordeauxrot lackierten Fingernägeln und erstaunlich kleine Füße – Größe 34, schätzte Kolossow –, denen selbst Aschenputtels Schuh gepasst hätte, vervollständigten das Bild.
Maria Potechina trug einen teuren Hosenanzug aus aschgrauem Leinen. Die zierlichen Füße steckten in hochhackigen Sandaletten, einem Gewirr dünner Lederriemchen. Über ihr Leinentop hatte sie einen modischen fliederfarbenen Schal geschlungen.
Den in der Tür stehenden Kolossow bemerkte Maria gar nicht – ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sich, kaum dass sie den Saal betreten hatte, auf den sich im Sofa lümmelnden Simonow.
»Sieh an«, zischte sie, »der gnädige Herr persönlich. Ist es wieder so weit, bist du schon morgens besoffen? Darf ich mal wieder den Notarzt rufen?«
»Mach nicht so viel Wind, ich bin v-völlig in Ordnung.« Simonow versuchte erneut, seinen schweren Körper hochzuwuchten, und hatte wieder keinen Erfolg. »Übrigens, wir haben Besuch . . .«
Aber Maria Sacharowna hörte nicht auf ihn, sondern stampfte wütend mit dem Absatz auf.
»Parasit!«, schrie sie gellend. »Was haben dir die Ärzte gesagt – schon ein einziges Glas ist zu viel, dann können sie für nichts mehr garantieren!«
»Nun hör aber auf«, wehrte Simonow ab. »Ich bin doch am Leben, wie du siehst. Und in guter Form.« Endlich kam er vom Sofa hoch. »Wenn nicht schon so früh Gäste aufgetaucht wären, dann, mein Schatz, hätte ich dir noch bewiesen, wie prima ich in Form bin.«
»Du alberner Clown, du Hanswurst«, schrie Maria und fragte dann plötzlich in ganz verändertem, friedlich-besorgtem Tonfall: »Was für Gäste? Wo?«
»Hier«, antwortete Kolossow. »Major Kolossow, Morddezernat, guten Tag. Und Sie sind, wenn ich mich nicht irre, Maria Sacharowna Potechina. Ich habe einige Fragen an Sie.«
»Eine überaus unerfreuliche Nachricht, meine Herrschaften«, brummelte Simonow im Hintergrund. »Ein . . . wie sagt man . . . ein Revisor kommt zu uns . . . Und ihr lasst euch mit jungen Windhunden bestechen . . .3 He, ihr da in der Küche, werft das Haschisch ins Klo!«
»Jetzt sei endlich still!«, schrie Maria, stampfte wieder mit ihrem Puppenfüßchen auf und sagte zu Kolossow: »Achten Sie nicht auf ihn. Dürfte ich einen Blick auf Ihren Dienstausweis werfen?«
»Bitte sehr.« Galant zückte Kolossow seinen »Lappen« und nahm dabei unwillkürlich seine Sonnenbrille ab. Das hätte er besser nicht getan.
»Leiter der . . .« Maria studierte den Ausweis. »Mordkommission . . . Bezirk . . . Bezirk Podolsk . . . Was stehen Sie denn noch, bitte nehmen Sie Platz.« Gastfreundlich wies sie auf eine gemütliche Nische mit einem Sofa. »Entschuldigen Sie das Chaos hier bei uns. Normalerweise öffnen wir um zwölf, wegen der Hitze jetzt schon um zehn. Aber bis der Laden in Schwung kommt, dauert es.«
»Maria Sacharowna, ich komme in folgender Angelegenheit zu Ihnen. Gestern hatte ich eine Unterredung mit. .
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