Das zarte Gift des Morgens
früher einmal zu verstehen gegeben, dass es zwecklos ist, mit Ihresgleichen zu reden.«
»Wieso zwecklos? Und was heißt ›mit Ihresgleichen‹?«, brauste Lessopowalow auf. »Wissen Sie, Ihre Ausdrucksweise ist hier nicht ganz . . .«
»Ihre auch nicht gerade«, parierte Katja ölig. »Klären Sie den Fall erst mal auf, dann können Sie immer noch laut werden. Sie geben sich den Anschein, als müssten Sie Informationen geheim halten und kontrollieren, und in Wirklichkeit gibt es gar nichts, was man geheim halten müsste.«
»Was soll das heißen, nichts?«
»Wie viel Zeit ist seit dem Tod von Studnjow vergangen? Vier Tage? Und nichts hat sich seitdem bei Ihnen getan.«
»Hör mal, Nikita, entweder sie oder ich.« Lessopowalow wurde puterrot.
»Katja . . . Katerina Sergejewna, hier habe ich einige Informationen zur Sache . . . zu den verschiedenen Verdächtigen.« Nikita raschelte hektisch mit den Papieren auf seinem Schreibtisch. So macht man es mit Kleinkindern, dachte Katja – man lenkt sie ab, indem man ihnen eine Klapper oder einen Schnuller gibt.
»Sehen Sie sich das doch inzwischen mal an.« Kolossow drückte Katja einige Computerausdrucke in die Hand, stand dann auf und zog den widerstrebenden Lessopowalow zur Tür. »Konstantin, auf zwei Worte. Warte hier, Katja, geh nicht weg . . . Kostja, wirklich, ich bitte dich als meinen Freund!«
Sie gingen hinaus, die Tür schlug zu. Katja seufzte erleichtert auf – die Schlacht war gewonnen, hurra! Flüchtig blätterte sie die Ausdrucke durch: Personennamen mit kurzen erläuternden Kommentaren. Die Liste war in zwei Rubriken eingeteilt: »Gäste« und »Angestellte«. In der Rubrik »Gäste« fand Katja folgende Namen: Aurora (Wetlugina, Natalja Andrejewna) – Mochow, Pjotr Sergejewitsch – Simonow, Serafim Nikolajewitsch und Berg, Anfissa Mironowna.
Den letzten Namen las sie zweimal und wollte ihren Augen nicht trauen, beschloss dann aber, sich vorerst über gar nichts zu wundern und weiterzulesen. Bei den »Gästen« gab es nur zu Aurora und Mochow einen kurzen Kommentar. Über die Sängerin standen ein paar allgemeine Sätze: Nominiert für den Wettbewerb »Russlands Sterne 1995«, Interpretin der Hits »Mich ruft das Herz«, »Geh nicht fort«, »Maske«. Es folgte eine Liste ihrer Alben und Videoclips und eine kurze Notiz über ihre erfolglose Nominierung für den Preis »Ovation 2000«. In Klammem war hinzugefugt: verheiratet, das Wort »verheiratet« hatte jemand durchgestrichen und »geschieden« darüber geschrieben, zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahren.
Der Kommentar zu Mochow war noch knapper: Junggeselle, Journalist, arbeitet für eine Reihe von Werbemagazinen, hat eine wöchentliche Rubrik in der Zeitschrift »Freizeit und Erholung« und eine gleichnamige Website, die der Kochkunst und der Gastronomie gewidmet ist.
Es folgte die Spalte »Angestellte«. Hier waren Katja fast alle Namen unbekannt, bis auf einen – Potechina, Maria Sacharowna. Von ihr hatte Kolossow gestern gesprochen. Aber die Kellnerin Worobjowa, Jelena Wiktorowna, der Koch Saiko, Lew Lwowitsch und der Chefkoch Poljakow, Iwan Grigoijewitsch waren offenbar neu in der Liste der Verdächtigen. Katja wollte schon zum nächsten Absatz übergehen, aber da stockte sie und kehrte zu Poljakow zurück. Iwan Grigoijewitsch . . . Das klang irgendwie vertraut. Ach ja, von einem Iwan Grigoijewitsch hatte die Zeugin Sascha Maslowa gesprochen. Kolossow hatte noch erzählt, sie habe ihn einen »Mafioso« genannt.
Katja grinste – ein Koch als Mafioso . . . Sie überflog den Kommentar: Chefkoch im Restaurant »Al-Maghrib«, davor in den Restaurants »Baku«, »Adelsnest« und »Gouverneurspalast« angestellt, dreißigjährige Berufserfahrung, Tätigkeit für das diplomatische Corps und die Botschaften in den Niederlanden, im Iran und in Ägypten, Sieger des Haute-Cuisine-Wettbewerbs in Liege 1999. Katja nahm einen Filzstift, unterstrich den Vor- und Vatersnamen von Poljakow und setzte ein Fragezeichen dahinter. Offenbar war Poljakow ein sehr berühmter Koch. Katja war überzeugt, dass es sich hier um einen ganz anderen Iwan Grigoijewitsch handeln musste. Das diplomatische Corps und die Mafia passten einfach nicht zusammen.
Der Kommentar zu dem Koch Saiko stammte von der Internet-Seite des Restaurants, war nicht so ausführlich, las sich aber auch sehr interessant: Dritter Platz beim Wettbewerb der originalen Nationalküche des Orients, Tätigkeit in den Restaurants »Port
Weitere Kostenlose Bücher