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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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das sie so gewartet und für das sie so viel getan und ausgehalten hatte, konnte es keine Zufälle geben.
    Simonow blickte sie schweigend und verwundert an. Einen Moment dachte sie . . . Aber nein, die Pupillen seiner Augen waren groß und dunkel. Hundertmal hatte sie diese Augen geküsst – diese geliebten, vergötterten Augen, die den regenbogenfarbigen Dunst und die unerreichbaren Pforten des Paradieses gesehen hatten, mit heißen Lippen hatte sie das Zittern der Lider eingefangen, das Kitzeln der dichten Wimpern. Sie holte plötzlich aus und versetzte Simonow mit einem wütendem Aufschrei eine schallende Ohrfeige. Sie wollte noch einmal zuschlagen, aber da hatte er sie schon beim Arm gepackt und zurück aufs Bett, aufs Kopfkissen, geworfen.
    Schweigend schaute sie zu, wie er seine verstreuten Kleider vom Fußboden aufsammelte. Nach der Ohrfeige war er augenblicklich nüchtern geworden. Entsetzt begriff Jelena: Es ist aus. So viele Opfer, so viele Entbehrungen, und alles umsonst! Er würde nie mehr erfahren, würde gar nicht wissen wollen, dass sie ein Kind erwarteten.

10
    Katja war völlig übernächtigt. Stundenlang hatte sie sich im Bett gewälzt, in Gedanken war sie noch einmal Dampfer gefahren, vorbei an den dunklen Sperlingsbergen, deren Lichter in der Nacht geheimnisvoll funkelten. Die Folge war, dass sie viel zu spät zur Arbeit kam. Zu Kolossow wollte sie auf keinen Fall gehen, das hatte sie sich geschworen. Auch nicht bei ihm anrufen, um nichts auf der Welt. Aber nach der Mittagspause saß sie eine Weile unschlüssig herum . . . und ging dann doch hinunter zur Kripo.
    Die Füße trugen sie wie von selbst zum Büro Nummer 9. Die Neugier ließ ihr keine Ruhe: War der Chef der Mordkommission wohl schon in dem Restaurant gewesen? Und wie ging es ihm überhaupt nach dem gestrigen Abend? Was machte sein farbenprächtiges Veilchen?
    Im Büro Nummer 9 polterten Männerstimmen wie ein Steinschlag. Katja öffnete die Tür. Nikita saß am Computer und hackte ungeschickt auf der Tastatur herum. Ihm gegenüber, mit dem Rücken zu Kalja, hockte ein stämmiger blonder Mann von den Ausmaßen eines mittelgroßen Kleiderschrankes rittlings auf einem Stuhl wie auf einem feurigen Rennpferd. Er trug eine enge Uniformjacke mit den Abzeichen eines Hauptmanns. Die Jacke saß so stramm, dass die Nähte zu platzen drohten.
    Der Hauptmann drehte sich verärgert um, und Katja erkannte den Leiter des Milizreviers von Stolby. Sie war ihm hin und wieder auf Konferenzen begegnet und hatte sogar einmal, wenn auch nur sehr kurz, mit ihm telefoniert, als sie dringend einen Kommentar zu einem bestimmten Fall brauchte.
    »Hallo«, sagte Katja. »Guten Tag, Konstantin.«
    »Guten Tag. Könnten Sie vielleicht ein andermal wiederkommen?«, raunzte Lessopowalow unhöflich. »Sehen Sie nicht, dass wir gerade in einer Besprechung sind?«
    »Nein, sehe ich nicht«, sagte Katja sanft und ließ sich auf dem freien Stuhl nieder. So leicht brachte sie jetzt niemand mehr aus dem Büro Nummer 9. »Ich komme wegen des Falls Studnjow, Nikita Michailowitsch. Gibt es etwas Neues?«
    »Meine Jungs haben mir einiges Material zusammengestellt«, erwiderte Kolossow, »ich mache Ihnen gleich einen Ausdruck, dann können Sie sich damit vertraut machen, Katerina Sergejewna.«
    Lessopowalow stand auf.
    »Ich wusste gar nicht«, sagte er herausfordernd, »dass die Presse über diesen Fall informiert wird.«
    »Ich bin nicht die Presse. Ich bin Kriminalreporterin beim Pressezentrum des Polizeipräsidiums«, antwortete Katja friedlich. »In diesem Fall sammele ich mit Erlaubnis von Nikita Michailowitsch Material für eine geplante Publikation.«
    »Wann hast du eine solche Erlaubnis gegeben?«, fragte Lessopowalow erstaunt.
    »Ich? Wann? Gestern.« Kolossow lächelte seinen Freund schuldbewusst an. »Was sollte ich tun? Ich wollte gar nicht, Kostja, habe mich dagegen gesträubt. Der Chef hat angeordnet: Falls die Sache erfolgreich aufgeklärt wird, muss das an die Öffentlichkeit. Ist ja schließlich kein gewöhnlicher Fall. So ein Giftmord ist eine Seltenheit.«
    »Weißt du, wie man so was nennt?« Lessopowalow ließ sein Feuerzeug klicken und zündete sich eine Zigarette an. »Einen Dolchstoß in den Rücken der Revolution. Da kann man wirklich die Lust an der Arbeit verlieren. Also habe ich jetzt außer dem Prüfer noch die Presse am Hals.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte ihn Katja. »Sie werde ich sicher nicht behelligen. Sie haben mir schon

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