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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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Kochmütze – es war niemand anders als Iwan Grigoijewitsch Poljakow, Chefkoch des »Al-Maghrib«. Er kniete nieder, ohne auf die Kaffeepfütze zu achten, und hielt den kleinen Spiegel in Katjas Puderdose an die Lippen der Kellnerin.
    Der Spiegel beschlug nicht. Jelena Worobjowa war tot.

13
    Katja rief sofort Kolossow an. Aber es dauerte noch vierzig Minuten, bis er im »Al-Maghrib« erschien -er musste sich mit dem Auto erst durch etliche Staus kämpfen. Im Restaurant herrschte Panik. Jemand schrie, der Notarzt solle die Kellnerin so schnell wie möglich ins Krankenhaus bringen, es handle sich um einen klinischen Tod nach einem Herzanfall und man könne sie noch wiederbeleben, ein anderer verlangte die Rechnung, und ein Dritter versuchte, sich in dem allgemeinen Durcheinander heimlich aus dem Staub zu machen, ohne bezahlt zu haben. Schließlich schloss der Portier die Eingangstür ab, und als das Einsatzkommando erschien, mussten die Männer erst lange klopfen.
    Poljakow war sehr erregt und wiederholte nur immer: »Wie kann das sein, wie kann so etwas passieren . . . Kann man denn an einer Schwangerschaftstoxikose sterben? Sie war doch so ein junges, gesundes, kräftiges Ding . . . Kein einziges Mal war sie krank geschrieben . . .« Katja musterte den Champion der Haute Cuisine verstohlen von der Seite: äußerlich eine eher unauffällige Erscheinung, etwa fünfzig Jahre, hager, braun gebrannt, ein von tiefen Falten gegerbtes melancholisches Gesicht, in dem nachtschwarze Zigeuneraugen funkelten. Aber auch in ihnen waren jetzt nur Schrecken und Ratlosigkeit zu lesen. An Poljakows linker Hand funkelte ein goldener Siegelring mit einem von Brillanten eingerahmten Achat.
    Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Katja Poljakow sicher gründlicher unter die Lupe genommen und versucht herauszubekommen, ob das der Mann war, von dem die Zeugin Sascha Maslowa gesprochen hatte, aber jetzt stand ihr der Sinn nicht danach.
    Sie schaute sich suchend unter den Gästen des Restaurants um: Wo war Anfissa geblieben? Ihre Freundin saß zusammengesunken immer noch auf ihrem Platz an dem kleinen Tisch, ihr gegenüber Mochow. Er sprach leise und schnell auf sie ein. Sein fröhliches rundes Gesicht war jetzt blass, auf der Stirn glänzte Schweiß – aus irgendeinem Grund hatte die Klimaanlage im Restaurant plötzlich ihren Dienst versagt. Es war unerträglich schwül und roch brandig, wie draußen auf der Straße.
    Katja bückte sich zu der Toten hinunter und fühlte ihren Puls. Nichts. Vorsichtig kniete sie neben ihr nieder. Die Muskeln der Toten waren stark angespannt. Nikita hatte gesagt, bei Studnjow sei es genauso gewesen. Aber Thalliumsulfat zeigt seine Wirkung ja erst nach mehreren Stunden, im Falle Studnjows waren es sechs Stunden gewesen. Wenn Jelena ebenfalls vergiftet worden war, dann . . . Katja schaute auf die Uhr: Viertel nach eins. Zieht man sechs Stunden ab, bekommt man . . . sieben Uhr fünfzehn.
    »Entschuldigung, wann macht das Restaurant auf?«, fragte sie Poljakow laut. Sofort wurden alle anderen im Saal still.
    »Fragen Sie mich?« Poljakow runzelte die Stirn.
    »Ja, Sie.«
    »Verzeihung, aber wer sind Sie überhaupt?«
    »Ich bin Mitarbeiterin des Polizeipräsidiums, wir untersuchen einen Todesfall, der sich vor fünf Tagen in Ihrem Restaurant ereignet hat. Einer Ihrer Gäste, Maxim Studnjow.« Katja bemühte sich, ihre Stimme möglichst offiziell klingen zu lassen. »Gleich wird unser Einsatzkommando eintreffen, ich habe es schon gerufen. Also wann öffnen Sie?«
    »Um Punkt zehn«, antwortete Poljakow.
    »Und wann ist Frau Worobjowa heute zur Arbeit erschienen?«
    Katja bemerkte seinen befremdeten, erstaunten Blick. Ich habe gar nicht nach ihrem Namen gefragt, so als ob ich schon alles wüsste, dachte sie. Ist er deshalb so beunruhigt?
    »Frau Worobjowa . . . Lena ist wie immer zur Frühschicht um halb zehn gekommen«, sagte Poljakow. »Sie sah schon heute Morgen schlecht aus. Ich habe sie noch gefragt, ob sie sich nicht gut fühlt. Sie hat gesagt, ihr sei ein wenig übel, aber das sei in ihrem Zustand nichts Besonderes.«
    Von draußen hörte man eine Polizeisirene heulen. Kolossow und mit ihm das Einsatzkommando waren eingetroffen. Katja zog sich sofort zurück und hielt sich bescheiden im Hintergrund. Sie wusste, Kolossow durfte jetzt nicht gestört werden. Er musste die Situation selbst beurteilen und sich einen Überblick über die Ereignisse verschaffen können. Er hatte Routine in solch schwierigen

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