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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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Nein, nichts, mach dir keine Sorgen.«
    »Ich mache mir keine Sorgen, ich hab schon begriffen, dass ich damit noch sechs Stunden warten kann«, scherzte Katja bitter. »Ich habe mich beim Personal erkundigt – das Restaurant öffnet um zehn, die Worobjowa kam wie gewohnt um halb zehn zur Arbeit. Wenn sie das Gift um halb acht bekommen hat, wie Sie sagen, kann das nicht im Restaurant gewesen sein. Wir werden feststellen müssen, wo sie am Morgen war, zu Hause oder wo auch immer. Ich glaube, eben damit befasst Kolossow sich jetzt.«
    »Ich verstehe.« Walentina seufzte. »Aber richte Nikita Michailowitsch trotzdem aus: Ich fordere mit Nachdruck, dass er den Betrieb dieses Restaurants vorerst, bis zur Klärung aller näheren Umstände, stoppt.«

14
    Während der Untersuchung des Tatorts ließ Kolossow der Gedanke keine Ruhe – wonach sie eigentlich Ausschau halten sollten. Jelenas Leiche hatte er persönlich in Augenschein genommen. Voreilige Schlüsse wollte er vermeiden, aber die Symptome sprachen für sich: die gleichen verkrampften Muskeln wie bei Studnjow, die in Agonie zerbissene Zunge, die Blutungen im Bereich der Augäpfel und Lider. Er konnte kaum glauben, dass dieser vom Todeskampf entstellte Körper der jungen Frau gehörte, mit der er sich erst gestern hier im Restaurant unterhalten hatte. Er betrachtete ihr totes Gesicht, suchte darin bekannte Züge und konnte sie nicht finden – das Gesicht schien einem ganz anderen, unbekannten Menschen zu gehören. Nur das blonde Haar war noch das gleiche, aber selbst das wirkte jetzt wie eine schlecht sitzende Perücke. Die schwarzen Sandaletten kamen ihm ebenfalls noch bekannt vor – elegantes Ledergeflecht und hohe Stiletto-Absätze. Diese Sandaletten hatte Jelena auch gestern getragen. Sie standen ihr sehr gut, und Kolossow hatte im Lauf des Verhörs immer wieder auf ihre schlanken, langen Beine geschielt.
    Jetzt aber . . . Nikita wandte seinen Blick von der Leiche ab. Jetzt waren die Beine mit den Sandaletten und der ganze Körper schrecklich anzusehen, wie alles tote Fleisch, das sich von einer Stunde zur anderen in eine leere, kalte, leichenstarre Hülle verwandelt, die schon von Zerfall und Verwesung ergriffen ist.
    Mit der Leiche hatten sich nach Nikita die Gerichtsmediziner befasst. Er selbst musste nun endlich entscheiden, was er in diesem Restaurant eigentlich suchen wollte, welche Proben er für Walentinas Labor nehmen sollte.
    In Begleitung des Chefkochs Poljakow, der ihm auf den Fersen folgte, durchsuchte Nikita sorgfältig die beiden Speisesäle, den Aufenthaltsraum für die Kellner und die Küche samt ihren Nebenräumen. Im Kellnerzimmer brachen sie den verschlossenen Spind Jelenas auf, aber dort befanden sich nur ihre Kleider: eine bunte Sommerhose, ein Top, ein BH, ein paar flache rote Straßensandaletten und eine im Farbton dazu passende rote Handtasche. In der Handtasche lagen eine Geldbörse, ein Handy, ein Kosmetiktäschchen, Zigaretten und ein Schlüsselbund. Alles ganz normal, wie bei tausend anderen Frauen.
    In der Restaurantküche stand Kolossow völlig niedergeschmettert vor der Überfülle von Lebensmitteln, von denen Proben genommen werden mussten. Wenn bewiesen wird, dachte er, dass die Worobjowa vergiftet wurde, muss natürlich festgestellt werden, worin ihr das Gift verabreicht wurde. Bei Studnjow waren sie zu spät gekommen – aber hier würden sie nichts unversucht lassen.
    Poljakow öffnete auf Bitten Kolossows und der Spurensicherung gehorsam Küchenschränke, Herde, Kühlschränke, Gefriertruhen. Er zeigte alles und gab über alles Auskunft. Nur auf eine, die wichtigste Frage: »Hat Frau Worobjowa am heutigen Tag von einer der Speisen gegessen?«, zögerte er mit der Antwort. Vielleicht wollte er auch einfach nichts dazu sagen. Bei Nikita hatten sich eine Menge Fragen an den Chefkoch angesammelt, sie lagen ihm auf der Zunge, aber leider war für die interessantesten jetzt weder der Ort noch die Zeit.
    »Na, nehmen wir halt von allem, was hier ist, eine Probe, was bleibt uns anderes übrig«, schlug ein junger Mann von der Spurensicherung, ein Schüler und Kollege Walentinas, munter vor. »Frisch ans Werk.«
    Nikita ließ seinen Blick über die Tische schweifen, die sich unter den Speisen bogen: Vorspeisen, Hauptgerichte, Beilagen, Desserts. Das Gift konnte in jedem dieser Gerichte verborgen sein. Vielleicht hatte Jelena von dem Orangengelee gegessen oder die Sauce dort auf dem Herd probiert oder vielleicht das eine wie das

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