Das zarte Gift des Morgens
versammelten sich empört im Kellnerraum und in der Küche. »Mit welchem Recht macht man uns zu? Wir werden uns beschweren!«
Kolossow hörte sich ihre Klagen nicht lange an, er ging zurück in den Speisesaal zu den Tauben und dem Springbrunnen und erblickte dort Pjotr Mochow. Zuerst erkannte er ihn gar nicht, wunderte sich nur über den einsamen Gast. Dann erinnerte er sich wieder – ach ja, ein bekanntes Gesicht.
Katja hatte gesehen, wie Mochow und Anfissa das Restaurant verließen, nachdem die Mitarbeiter der Miliz sich ihre Namen und Adressen notiert hatten. Dass Mochow wieder ins »Al-Maghrib« zurückgekehrt war, hatte sie nicht gesehen – sie war in dieser Zeit im Präsidium in der Nikitski-Straße gewesen. Auch Kolossow hatte es nicht bemerkt. Er glaubte sowieso, Mochow säße die ganze Zeit, seit vier Stunden, wie angeklebt auf dem Sofa neben dem Springbrunnen, die Tasse mit dem längst kalt gewordenen Kaffee vor sich, und beobachte alle Ereignisse mit der nervösen, hartnäckigen Neugier eines Kundschafters. Das war ein äußerst ungewöhnliches Benehmen und passte gar nicht zu einem durchschnittlichen Zeugen.
»Guten Tag, Pjotr«, sagte Nikita und setzte sich zu ihm. »Ja, das sind keine schönen Umstände, unter denen wir uns Wiedersehen. Haben Sie so lange gewartet, um uns etwas mitzuteilen? Etwas Wichtiges?«
»Ich?« Mochow wurde verlegen. »Ja, ich habe darauf gewartet, dass Sie endlich Zeit hätten. Ich habe Sie gleich erkannt, als Sie kamen. Nur Ihr Name ist mir leider entfallen.«
»Nikita Kolossow.«
»Pjotr Mochow, aber das wissen Sie ja sicher.« Mochow holte Luft. »Sagen Sie, hat man schon festgestellt, woran Lena gestorben ist?«
»Vorläufig haben wir über die Todesursache noch keine gesicherten Erkenntnisse.«
»Aber es steht doch wohl fest, dass es kein Herzanfall war!« Mochow blickte Kolossow aufgeregt an. »Sonst wären Sie nicht hier, als Leiter der Mordkommission.«
»Ich habe den Verdacht, dass sie vergiftet wurde, genau wie Ihr Bekannter Studnjow«, sagte Kolossow. »Genaueres wird die medizinische Untersuchung zeigen.«
»Sie glauben, beide wurden vergiftet?« Mochow erhob sich erschrocken etwas von seinem Stuhl. »Hier, in diesem Restaurant?«
»Erschreckt Sie das, oder interessiert es Sie nur, sozusagen aus beruflichen Gründen?«
»Mich? Wissen Sie denn, was ich beruflich mache?«
»Ich weiß, dass Sie Restaurantkritiker sind und eine eigene Kolumne unter dem Pseudonym ›Stammgast‹ haben. Heute Abend beabsichtige ich mir Ihre Zeitschrift »Freizeit und Erholung‹ zu kaufen und mich mit Ihrem Schaffen näher vertraut zu machen.«
»Das war doch kein Scherz, was Sie über die Vergiftung gesagt haben?« Mochows Stimme zitterte.
»Ich scherze nicht. Und ich warne Sie: Wenn ich etwas von dem, was ich Ihnen gesagt habe, auf den Seiten Ihrer Zeitschrift wiederfinde, dann werde ich sehr lange Zeit nicht mehr mit Ihnen scherzen.«
»Mein Gott, nein, wie können Sie so etwas denken. Maria Sacharowna Potechina ist eine alte Freundin von mir, ich würde niemals etwas tun, was ihr schadet. Aber was Sie mir gerade mitgeteilt haben, trifft mich wie ein Donnerschlag.« Mochow atmete tief durch. »Das ist das Ende. Das Ende von allem, was mit so viel Mühe aufgebaut und organisiert wurde. Haben Sie es Maria Sacharowna schon gesagt?«
»Sie ist nirgends zu finden, im Restaurant war sie heute nicht. Kennen Sie Ihre Gewohnheiten? Ist sie jeden Tag hier?«
»Fast jeden, ausgenommen die Tage, an denen sie zu ihrem Sohn ins Sportlager fährt. Heute ist Mittwoch, das heißt, jetzt ist sie dort. Sie hat zwei Söhne. Boris, der jüngere, ist in Frankreich im Internat, und Gleb, der ältere, will Profi-Fußballer werden, er ist schon in die Auswahlmannschaft der Junioren aufgenommen worden. Maria Sacharowna ist schrecklich stolz auf ihn, aber natürlich vermisst sie ihn auch sehr. Nein, wissen Sie, ich kann gar keinen klaren Gedanken mehr fassen, ich bin völlig entsetzt über diese Nachricht.« Mochow raufte sich die Haare. »Als wir bei Ihnen im Präsidium waren, haben Sie doch gesagt, dass Max vom Balkon seiner Wohnung gefallen ist.«
»Er war schon tot, als er heruntergefallen ist. Gestorben ist er durch Gift. Und das Gift hat er hier bekommen, bei dem Essen am Freitagabend, an dem auch Sie, Pjotr, und Ihre Freunde teilgenommen haben.«
»Und Lena? Das war doch jetzt, heute – wie ist das passiert?«
Kolossow sah Mochow an. Journalisten sind gewöhnlich Zeugen, wie man
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