Das zarte Gift des Morgens
sich eine neue Stelle suchen. Maria hat ihm die Stelle des zweiten Kochs angeboten, der für die originale, traditionelle Küche zuständig ist. Er war sofort einverstanden – Traditionen sind für ihn das Höchste überhaupt. Zu Ihrer Information, er hat anderthalb Jahre bei Fayum Ahmed persönlich gearbeitet.« Mochow holte Luft. »Vermutlich sagt Ihnen dieser Name nicht allzu viel, aber in der Welt der Haute Cuisine ist das eine ebensolche Autorität wie Yves Saint Laurent in der Mode. Ahmed war seinerzeit der Leibkoch des Königs von Marokko. Nicht des Königs, der jetzt regiert, sondern des alten, der schon gestorben ist.«
»An was?«, fragte Kolossow. »Gestorben an was?«
»Ich weiß nicht, vermutlich an Altersschwäche.« Mochow lächelte nervös. »Was tut das zur Sache. Jedenfalls hat Saiko seine ersten Erfahrungen in der »Orientalischen Schule‹ von Fayum Ahmed in Tanger gesammelt. Und es heißt. . . Also, es wurde gemunkelt, dass er einiges opfern musste, bis Ahmed einverstanden war, ihm alle seine Berufsgeheimnisse zu verraten.«
»Wie ist das zu verstehen? Was denn opfern?«
»Saiko soll zum Islam übergetreten sein. Ich weiß es allerdings nicht sicher, vielleicht sind es auch nur Gerüchte.«
»Ist er schon lange wieder aus Marokko zurück?«, fragte Kolossow und dachte an Lew Saikos rotwangiges Bauernjungengesicht, das überhaupt nicht zu Mochows Erzählung von Saikos arabischen Abenteuern passen wollte.
»Seit ungefähr zwei Jahren. Auch davor hat er schon mal in Marokko gearbeitet – eine Saison in einem Hotelrestaurant. Aber da hat es Probleme gegeben, man hätte ihn fast entlassen. Er selbst spricht darüber nicht, aber es gehen verschiedene Gerüchte um.«
»Ich sehe, Pjotr, Sie sind wirklich sehr gut informiert«, bemerkte Nikita.
»Das ist mein Job. Gut informiert zu sein ist immer nützlich. Unsere Kunden interessieren sich heutzutage weniger für die Einzelheiten der Speisekarte als für die Qualifikation des Kochs. Saiko ist hier nicht nur für die originale Küche zuständig, sondern leitet auch die Konditorabteilung. Im ›Al-Maghrib‹ speisen oft Diplomaten aus den Botschaften der arabischen Länder. Jedes dieser Essen wird unbedingt mit nationalen Desserts abgeschlossen, die Saiko zubereitet hat. Er macht alles außer Sorbets. Sorbets, Eis und Flans sind Vorrecht des Chefkochs.«
»Wie verstehen die beiden sich überhaupt, Saiko und Poljakow?«, fragte Kolossow – ihm fiel das gestrige Gespräch zwischen der Potechina und Saiko ein, das er belauscht hatte.
»Nun, äußerlich ist die Fassade glatt, Maria Sacharowna lässt darüber nichts verlauten, wer wäscht schon gern öffentlich schmutzige Wäsche? Aber soweit ich im Bilde bin, herrscht Krieg zwischen ihnen, obwohl es noch nicht zu offenen Auseinandersetzungen gekommen ist.«
»Der Konflikt wird unter den Teppich gekehrt?«
»Nun, wo gibt es das heutzutage nicht? In welcher Firma, in welcher Behörde? Und hier handelt es sich um schöpferisch tätige Menschen, um Künstler – da gibt es Neid, Konkurrenzdenken . . . und der Altersunterschied spielt natürlich auch eine Rolle.«
»Wie standen die beiden zu Studnjow?«, fragte Nikita.
»Er war ein Gast des Restaurants. Mehr gibt es nicht zu sagen. Wie steht man zu einem Gast? Er war allerdings der Freund einer Freundin der Chefin – Sie wissen ja, er hatte eine sehr enge Beziehung zu Aurora. Aber falls das irgendeine Rolle gespielt haben sollte, dann nur eine sehr geringe.«
»Und in welchem Verhältnis standen sie zu Jelena Worobjowa?«
»Poljakow und Saiko? In einem reinen Arbeitsverhältnis. Sie arbeiteten Seite an Seite, oft eine ganze Schicht lang. Lena hat es hier gefallen, das weiß ich, sie hat sich mehr als einmal bei mir bedankt, dass ich sie hier untergebracht habe. Poljakow war immer höflich und korrekt zu ihr. Und Saiko . . . Manchmal hatte ich den Eindruck, dass sie ihm gefällt. Er hat sie mit so einem Blick angesehen . . . Aber wozu jetzt davon reden? Nach so einem furchtbaren Unglück? Kann es wirklich Gift gewesen sein?«
Kolossow schwieg.
»Und wie wird Mariascha das verkraften?«, rief Mochow. »Das ist doch eine Katastrophe . . . Wie viel Mühe, wie viel Nerven hat es sie gekostet, dies alles aufzubauen. Natürlich, keiner bestreitet, dass es ihr Mann war, der ihr das Geschäft überlassen hat. Aber damals warf es keinen Gewinn ab. Ein durchschnittliches Restaurant mit mittelprächtiger europäischer Küche, außer Stör in Aspik und
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