Das zarte Gift des Morgens
Rindfleisch Provençale keinerlei Ideen. Einen richtigen Chefkoch gab es gar nicht, nur eine Köchin.«
»Wer hat sie denn auf die Idee gebracht, das Image des Restaurants zu ändern? Sie?«
»Nein, wo denken Sie hin? Ich sagte Ihnen doch: Das ist zu achtzig Prozent Poljakows Verdienst. Er hat ein neues Konzept ausgearbeitet, eine neue Preispolitik. Die Preise sind im heutigen Restaurantgewerbe so wichtig. Wie kann man Gäste anlocken, wie kann man hohe Qualität mit erschwinglichen Preisen vereinbaren? Alle möchten etwas Exotisches, aber niemand will für ein normales Mittagessen oder ein romantisches Dinner allzu viel ausgeben. All das muss man genau kalkulieren. Ja, Poljakow hat Maria Potechina sehr geholfen. Aber die Idee selbst kam nicht von ihm, sondern von Aurora. Sie schwärmt für Marokko, ist schon oft dort gewesen.«
»Weshalb sind Sie selbst heute hergekommen, Pjotr?«, fragte Nikita. »Zum Essen oder geschäftlich?«
»Ich war auf der Suche nach einer Bekannten.« Mochow wurde plötzlich rot.
»Leider bin ich gezwungen, Sie nach dem Namen zu fragen.«
»Den will ich ja gar nicht verheimlichen – es ist Anfissa Berg. Sie aß hier zufällig mit einer Freundin zu Mittag. Ich brauchte dringend ihre Hilfe.«
»Wobei?«
»Das sage ich Ihnen aber nur streng vertraulich. Ich kann mich doch auf Sie verlassen?« Mochow errötete noch stärker. »Wissen Sie, ich habe seit meiner Kindheit Diabetes. Sowieso eine blöde Sache, aber bei meinem Beruf völlig unmöglich. Heute gab es in der ›Maske‹ eine Präsentation von Nachspeisen der Saison, und ich soll über Qualität und Geschmack der präsentierten Speisen schreiben. Und dafür hätte ich sie alle probieren müssen.«
›Ja, und?«
»Aber das darf ich doch nicht! All diese Desserts und Torten, wo mir Zucker strengstens verboten ist. Und in solchen Fällen lade ich dann immer Anfissa ein. Sie isst gern, und auf ihren Geschmack kann ich mich verlassen.«
»Schön, wenn man solche treuen Freunde hat, die einem aus der Klemme helfen«, grinste Nikita. »Sie werden nicht zufällig auch zu Weinproben eingeladen?«
»Zu den Wettbewerben der Sommeliers? Das kommt vor. Nur brauche ich da keine Helfer.« Nun musste auch Mochow grinsen.
»Jelena Worobjowa haben Sie zu solchen Festlichkeiten nicht eingeladen?«
»Nein, nie.«
»Naja, es war wohl auch ein bisschen weit für sie, von außerhalb.«
»Von außerhalb? Nein, sie hat in Moskau gewohnt, sie hatte hier eine Mietwohnung.«
»Kennen Sie vielleicht Ihre Moskauer Adresse?«, fragte Nikita schnell.
»Die Adresse nicht, aber ihre Telefonnummer hat sie mir gegeben.« Mochow ergriff sein an einem Bändchen baumelndes Handy und drückte auf die Taste des Nummernspeichers. »Die ist es nicht. . . die auch nicht. . . Hier, das ist ihre Nummer: 139-014-90.«
Nikita nickte dankbar und schrieb sich die Telefonnummer in sein Notizbuch.
15
Erst gegen Abend, als Katja schon im Begriff war, aufzubrechen, kehrte Kolossow ins Präsidium zurück.
»Wo willst du hin?«, war seine erste Frage noch in der Tür.
»Ich gehe«, antwortete Katja und nahm den Schirm, den sie aus irgendeinem Grund von zu Hause mitgebracht hatte, aus der Tasche. »Mir reicht es für heute an Tragödien und Horrormeldungen.«
»Ich wollte dir gerade vorschlagen, mit mir zusammen zu einer wichtigen Adresse zu fahren. Unterwegs könntest du mir erzählen, wie es dich eigentlich in dieses Restaurant verschlagen hat. Ich hab das nicht so ganz kapiert.«
»Zu welcher Adresse?«, fragte Katja.
Nikita erläuterte bereitwillig: Eben hatten seine Mitarbeiter vom amtlich registrierten Wohnsitz Jelena Worobjowas angerufen. Wie ihre Verwandten aussagten, hatte Jelena nicht mehr zu Hause gelebt, sondern eine Wohnung in Moskau gemietet. Das letzte Mal war sie vor zwei Wochen zu Hause gewesen, an ihrem freien Tag.
»Mochow hat mir vorhin ihre Moskauer Telefonnummer gegeben«, sagte Nikita. »Er ist auf einmal ungewöhnlich hilfsbereit, warum, weiß ich auch nicht. Ich habe die Genehmigung für eine Wohnungsdurchsuchung. Fahren wir zusammen, Katja, einverstanden? Du hilfst mir dort und schaust dir alles unvoreingenommen an.«
»Du hast Mochow also doch schon verhört? Ihr hattet ihm doch eigentlich bereits entlassen, und er war gemeinsam mit Anfissa weggegangen.«
»Aber später ist er zurückgekommen, allein, ohne deine Freundin. Tatsächlich hat er dort gesessen und so lange gewartet, bis ich zu ihm gekommen bin.«
»Und ich dachte, er hätte
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