Das zarte Gift des Morgens
zusetzt, verstehe ich nicht. Wozu will man das Restaurant ruinieren?«
»Und was ist mit diesem verfluchten Saft?«, fragte Maria.
»Was soll damit sein? Die Miliz ist noch mal gekommen und hat uns verhört. Was hätten wir ihnen sagen können außer der Wahrheit? Schließlich wussten alle im Restaurant dass Lena am liebsten Grapefruitsaft getrunken hat. Und manchmal hat sie die Packungen aus unserem Kühlschrank mit nach Hause genommen. Besonders, wenn sie Spätschicht hatte.«
»Du hast gesehen, dass sie mich bestohlen hat, und hast geschwiegen?«
»Mascha, Liebes, das waren doch Bagatellen! Was redest du?« Poljakow steckte sich einen trockenen Grashalm in der Mund. »Und was diesen Saft betrifft – ich habe selber mitbe kommen, wie die Miliz in das Lebensmittelgeschäft an der Ecke gegangen ist, du weißt doch, der Laden, der Tag und Nacht geöffnet hat. Dort gibt es genau den gleichen Saft, er steht in der gleichen Verpackung im Regal. Lena kann ihr ebenso gut dort gekauft haben oder auch in einem anderer Geschäft bei sich zu Hause. Das heißt, sie können gar nicht mit Sicherheit sagen, dass der Saft mit dem Gift aus unseren Restaurant stammt. Es handelt sich einfach um ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen.«
»Iwan, war sie . . . Lena hat doch ein Kind erwartet? Hat sie dir gesagt, von wem, wer der Vater ist?«
»Über den Vater hat sie nichts gesagt.«
»Wie grässlich das alles ist und wie dumm. Warum passiert das alles gerade uns?«
»Nicht doch, Mascha, beruhige dich . . . nicht weinen. Ich werde dir helfen, alles tun, was in meinen Kräften steht, du kannst auf mich zählen.« Poljakow legte seinen Arm um Marias mollige Schultern. »Das eine Wochenende, na gut, das ist verloren, vielleicht noch ein paar Tage mehr. Aber dann müssen sie uns ja doch wieder die Erlaubnis geben zu öffnen.«
Maria seufzte tief auf und drückte ihre Wange an Poljakows Schulter.
»Jetzt habe ich nur ein paar Minuten mit dir gesprochen, und gleich ist mir leichter«, sagte sie leise. »Manchmal denke ich: Warum habe ich damals eigentlich Fjodor geheiratet und nicht dich? Ein Schaf war ich, ein Riesenschaf . . .«
»Fjodor hat dir nach allen Regeln der Kunst den Hof gemacht. Darauf verstand er sich – Blumen, ein schickes Auto, Theater, Pferderennen. Da konnte ich nicht mithalten. Ich habe ja damals kaum gewagt, dich anzusehen.« Poljakow lächelte traurig.
»Aber ab und zu hast du doch einen Blick riskiert?«
»Natürlich, was denkst du? Alle diese Jahre, bis heute, schaue ich dich an und freue mich an dir. Du bist eine sehr schöne Frau, Mascha.«
»Na, nun trag nicht gleich so dick auf!« Maria gab ihm einen Klaps auf die Hand und drückte sich gleichzeitig noch fester an seine Schulter. »Ich bin schon eine alte Schachtel, Iwan . . . Meine Geburtstage werden mir allmählich schon verhasst. Aber früher, weißt du noch? Wie wir bis zum Morgengrauen bei mir getanzt haben und nach Prochorowka auf die Datscha gefahren sind, um dort zu grillen, erinnerst du dich? Wenn ich jetzt morgens aufwache, ist mein erster Gang zum Spiegel, und ich gehe gnadenlos mit mir ins Gericht. Ich lasse mir in der Klinik jetzt schon Botox spritzen. So weit ist es mit mir gekommen . . .«
»Für mich bleibst du immer eine Schönheit, Mascha«, sagte Poljakow. »Bis heute habe ich den Tag nicht vergessen, an dem wir uns kennen gelernt haben. Du hattest so ein Miniröckchen aus Wildleder an und einen schwarzen Rollkragenpullover.«
»Das weißt du noch, was ich vor fünfundzwanzig Jahren anhatte?«
»Warum nicht? Ich erinnere mich an alles. Du siehst ja auch heute noch aus wie aus einem Modejournal. Immer hast du irgend so was Apartes, mit Geschmack Ausgewähltes -ein Armband, einen Schal, einen Ring, schicke Pumps.«
»Ach, hör auf. Das ist das einzige Vergnügen, das mir im Leben geblieben ist – Klamotten zu kaufen. Durch die Geschäfte zu bummeln, alles Mögliche auszusuchen. Und dann takelt man sich auf, und wo sitzt man? Auf dem Fußballfeld. Neidisch auf die Jugend der anderen.« Maria schüttelte sich den Pony aus der Stirn. »Ach, Wanja . . . Sieh dir die Jungen an, wie groß sie geworden sind. Sie haben ihr Leben noch vor sich, aber wir beide, wir gehören schon zum alten Eisen.«
»Wo ist eigentlich Serafim?«, fragte Poljakow leise. »Warum ist er nicht mit dir hierher gefahren?«
»Ich weiß nicht, wo er ist.« Maria nahm ihre Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Handtasche und begann zu rauchen. »Heute
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