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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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Morgen war er plötzlich verschwunden, ohne mir ein Wort zu sagen.«
    »Ist er mit deinem Auto weggefahren?«
    »Ja, mit meinem Auto. Was siehst du mich denn so an?«
    »Wie bist du denn hierher gekommen, ohne Auto?«
    »Mit dem Taxi.«
    »Dann bringe ich dich nach Hause.«
    »Danke. Ich bin so froh, dass du gekommen bist. Gleb will ich lieber gar nichts erzählen – er braucht von der ganzen Sache nichts zu wissen. Sie haben ihr festes Programm hier, ihr Training. Bald spielen sie um die Meisterschaft. . .«
    »Dein Gleb ist ein prima Junge. Sieh mal, er schaut gerade herüber. Du musst ihm winken.« Poljakow winkte Marias Sohn selber einen Gruß zu. »Sieht er eigentlich seinen Vater noch?«
    »Ja, sein Vater vergisst ihn nicht. Auch mit Boris telefoniert er häufig.«
    »Vielleicht kommt er ja doch noch zu dir zurück. Fjodor, meine ich«, sagte Poljakow. »Solche Geschichten passieren und gehen auch wieder vorbei. Vielleicht bekommt er Heimweh nach zu Hause und nach dir und verlässt seine Neue wieder?«
    »Nein.« Maria schüttelte den Kopf. »Er kommt nicht zurück. Und er wird auch seine Neue nicht verlassen. Sie ist noch jung, hat das ganze Leben vor sich. Sie werden sicher noch Kinder haben. Aber ich . . . Und das weißt du auch, Wanja. Du zum Beispiel, würdest du etwa deine reizende kleine Saschenka verlassen?«
    »Ich habe sie schon verlassen«, antwortete Poljakow dumpf. »Zwischen uns ist alles aus.«
    Maria blickte ihn zärtlich und traurig an. Ihr rundliches, gepudertes Gesicht verwandelte sich, wurde weicher, hübscher.
    »Ach, mein edler Ritter«, sie streichelte Poljakow über die gebräunte, glatt rasierte Wange, »so was darfst du nicht tun, hörst du? Das ist ganz falsch. Du musst kämpfen.«
    »Kämpfen kann man nur, wenn man ein Ziel hat. Du zum Beispiel, du hast Kinder. Du willst ihnen ein Geschäft hinterlassen, ihnen helfen, einen sicheren Platz im Leben zu finden. Aber ich . . . ich, Mascha, ich habe nichts, worum ich mich sorgen müsste, und jetzt auch niemanden mehr, der meine Sorgen teilt.«
    »Niemanden?«, fragte Maria leise.
    Poljakow schwieg trübe.
    »Gut, dass du heute zu mir gekommen bist«, wiederholte Maria, »ich freue mich, dich zu sehen, Wanjetschka.«
    Sie stand von der Bank auf und stieg hinunter aufs Fußballfeld. Poljakow folgte ihr. Die beiden Gestalten, die männliche und die weibliche, wirkten auf der leeren, stillen Tribüne, die das Stadion umgab, seltsam verloren.
    Gleb Potechin rannte quer über das ganze Fußballfeld seiner Mutter entgegen. Er war ein großer, hoch aufgeschossenerjunge. Seine von Natur aus dunklen Haare waren zur Zeit strohgelb gefärbt. Aber als er auf Maria zulief, sah man, wie ähnlich er seiner Mutter war – die gleichen breiten Wangenknochen, der gleiche mongolische Schnitt der Augen.
    »Na, hat der Trainer euch gründlich herumgehetzt?«, sagte Poljakow lachend und schüttelte ihm die Hand.
    »Du bist ja völlig verschwitzt, dein Hemd ist ja patschnass! Schnell, steh hier nicht in der Zugluft herum, nimm das Handtuch.« Maria hüllte ihren Sohn, der sie um einen ganzen Kopf überragte, fürsorglich in ein großes Frotteetuch. »Rasch ab in die Dusche mit dir. Iwan Grigorjewitsch und ich warten am Tor auf dich.«
    »Ich beeil mich.« Gleb lächelte übers ganze Gesicht. »Mama?«
    »Was?«
    »Nichts, nur so. Ich hab dich lieb, ich hatte Sehnsucht nach dir.« Er beugte sich hinunter und küsste Maria auf die Wange.
    Sie schaute ihm nach, wie er auf den Seitenflügel zuging, in dem sich die Duschen und die Sauna befanden. Dann hakte sie sich bei Poljakow ein, und wie ein altgedientes Ehepaar schritten sie gemessen über die breite, schattige Lindenallee, die vom Stadion zum Tor führte.

17
    Es war Samstag, ein stiller, sonniger Tag.
    Katja hätte niemals gedacht, dass so viele Leute am Wochenende schon frühmorgens aulbrachen, um ins Grüne zu fahren – möglichst weit weg aus der von Brandgeruch und Smog verpesteten Stadt.
    Auch Nikita und sie waren unterwegs. Wohin es allerdings an diesem Samstagmorgen gehen sollte, war Katja vorläufig noch ein Rätsel.
    Freitagabend war Kolossow bei ihr im Büro erschienen und hatte in geschäftsmäßigem Tonfall gefragt: »Was machst du eigentlich morgen?«
    »Und was macht eigentlich dein blaues Auge? Oh, ist ja fast schon wieder weg, toll«, war Katjas teilnahmsvolle Reaktion.
    »Ich habe etwas vor und möchte gern, dass du mitfährst.«
    »Wohin denn?«
    »Ins Grüne«, erwiderte Kolossow. »Ich

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