Das zarte Gift des Morgens
nicht doch schon vor Ihrer Scheidung . . .?« »Ich war Gussarow treu«, antwortete Aurora. »Es klingt komisch, aber an so etwas hätte ich nicht einmal zu denken gewagt. Die ganzen acht Jahre unseres gemeinsamen Lebens habe ich vor meinem Mann stramm gestanden wie eine Pionierin.«
»Sie sprechen von ihm, als wäre er so eine Art Blaubart«, meinte Nikita mit einem ungläubigen Lächeln. »Entschuldigen Sie, falls ich Ihnen ungewollt zu nahe trete. Mir ist es selbst nicht gerade angenehm, mit Ihnen über so etwas Unerfreuliches reden zu müssen. Viel lieber würde ich mich mit Ihnen über Ihre Musik unterhalten. Eins Ihrer Lieder gefallt mir besonders: ›Liebe, meine Liebe, wie soll ich sie dir beschreiben .. .‹ Wer hat diese tolle Musik für Sie geschrieben?«
»Ein Typ aus Tscheljabinsk. Ich kenne nicht einmal seinen Namen«, sagte Aurora. »Er wollte mit seinen Freunden eine Gruppe gründen und suchte nach Sponsoren. Gussarow hat sie zufällig in einem Klub gehört und gleich mehrere Lieder auf einmal gekauft. En gros. Ich habe die ›Liebe‹ gesungen, sehr erfolgreich, es wurde ein Hit. Aber dieser Typ, der Komponist, ist dann ums Leben gekommen. Ich glaube, er ist mit dem Motorrad verunglückt, Genaueres weiß ich nicht. . .«
»Werden Sie auch weiterhin singen, Aurora?«, fragte Nikita.
»Ich habe keine Ahnung. Allein hat man es sehr schwer. Vorläufig habe ich nur ganz bescheidene Pläne. Im September kommt mein Ältester, Dima, in die Schule. Ich will eine gute Schule für ihn finden, ein Lyzeum oder Gymnasium. Dann muss die Wohnungsfrage irgendwie gelöst werden. Bis jetzt kampieren wir ja noch bei meiner Mutter.«
»Wollen Sie eine Wohnung kaufen?«
»Ja. Zur Zeit schwanke ich noch zwischen verschiedenen Varianten.«
»Konnte Studnjow Ihnen dabei nicht helfen?«
»Ihn interessierten meine Alltagssorgen überhaupt nicht. Wahrscheinlich dachte er, ich lebe irgendwo auf dem Mond. Wir haben uns auch immer – das wollen Sie ja sicher wissen -bei ihm getroffen, hier in Stolby. Oder wir sind rausgefahren, ins Grüne.«
»Was haben Sie eigentlich an diesem Freitagabend im ›Al-Maghrib‹ gefeiert?«, fragte Nikita. »Mir ist das gar nicht richtig klar.«
»Es war nichts Konkretes.« Aurora holte tief Luft. »Ich wollte einfach mal auf andere Gedanken kommen, nicht nur Trübsal blasen. Ich war ja immer nur mit den Kindern oder mit meiner Mutter zusammen. Und in Nemtschinowka, im Haus meines Mannes, habe ich sowieso wie im Gefängnis gelebt. Überall Bodyguards, wohin man auch ging. Ich durfte gar nichts. Wehe, einer meiner Bekannten hätte gewagt, mich zu besuchen, nur die Freunde von Gussarow durften kommen. Na, und da wollte ich einfach mal mit normalen, netten Leuten zusammen sein. Maria Potechina habe ich richtig gerne. Und ihr Restaurant ist wirklich exzellent. O Gott, das habe ich ja ganz vergessen . . . Was wird denn jetzt eigentlich aus dem ›Al-Maghrib‹?« Aurora schaute Kolossow besorgt an. »Maria hat Angst, dass es jetzt geschlossen wird.«
»Man wird es nicht schließen«, erwiderte Kolossow.
»Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht. Das können wir gar nicht, wir sind nicht dazu befugt. Im Restaurant selbst ist nichts gefunden worden. Ich meine, nichts Verdächtiges . . .«
»Ich rufe Maria noch heute an und beruhige sie«, sagte Aurora, »wenigstens eine gute Nachricht in all diesen Tagen. Aber was ist dann mit den Morden?«
»Die Gefahr besteht natürlich weiterhin«, sagte Nikita.
»Gefahr von was?« Auroras Stimme zitterte.
Nikita antwortete nicht sofort.
»Erinnern Sie sich gut an jenen Abend?«, fragte er dann.
»Ich weiß nicht.« Aurora zuckte die Schultern. »Ich denke oft daran, und eigentlich erinnere ich mich auch an alles, aber es ist mehr wie in einem Nebel. Ich sehe uns zusammen sitzen, lachen, miteinander reden. Simonow reißt wie immer Witze, er kennt eine Unmenge und kann sie sehr komisch erzählen. Poljakow kommt und verkündet, dass der Hauptgang, Hammel am Spieß, gleich fertig ist. Er bittet die Kellnerin Jelena, die Sauce und die pikanten Vorspeisen, die Tapas, zu servieren. Petja Mochow ist wie üblich sehr besorgt -- er ist Diabetiker und bestellt sich immer besondere Speisen. Auch ich bestelle bei Saiko ein Extra-Gericht für mich, Fisch-Tajin. Eigentlich bin ich ganz verrückt nach marokkanischer Küche und schwärme für Hammelfleisch. Aber leider darf ich es fast nie essen, ich bin ja ständig auf Diät. Wir sitzen also zusammen, Maxim schenkt mir
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