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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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Wein ein, sagt, wir müssten uns aussprechen, so vieles wäre noch ungeklärt, er verstünde gar nicht, was zwischen uns geschehen sei. Auf einmal tat er ganz begriffsstutzig!« Aurora lächelte bitter und schüttelte den Kopf. »Ich sehe ihn vor mir – so deutlich . . . Ich sage, wir hätten das alles doch längst durchgekaut, es sei vorbei. Maxim widerspricht mir, will mich umstimmen, und da plötzlich klingelt in meiner Handtasche das Handy. Ich höre Gussarows Stimme und . . . und sofort war alles wieder da. Als wäre ich wieder in diesem entsetzlichen Haus in Nemtschinowka und müsste hören und ertragen, wie er mich verhöhnt, in den Schmutz tritt und beleidigt. . .« Aurora bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
    Kolossow schob ihr die Flasche Mineralwasser zu, wartete eine Weile und fragte dann: »Erinnern Sie sich noch, was Studnjow gegessen hat?«
    »Wie?« Aurora nahm die Hände vom Gesicht.
    »Was er an jenem Abend gegessen hat, von welchen Speisen er probiert hat – haben Sie das bemerkt? Er saß ja neben Ihnen.«
    Sie zuckte ratlos die Schultern.
    »Das Gleiche wie alle anderen. Der Tisch bog sich buchstäblich unter den Speisen. Marias Köche sind echte Künstler, sie kochen sehr lecker. Ich war schon in Marokko und kann vergleichen. Maxim hat sehr viel getrunken, daran erinnere ich mich. Mir hat er auch die ganze Zeit Wein nachgeschenkt, offenbar wollte er mich betrunken machen . . .«
    »Er hat sich nicht bei Ihnen beklagt, dass ihm übel sei?«, fragte Kolossow.
    »Nein.« Aurora schaute Kolossow an und wandte dann den Blick rasch ab.
    »Und nach Hause begleitet hat er Sie auch nicht?«
    »Das wollte ich nicht. Ich habe ihm gesagt, es sei nicht nötig. Ich bin mit Anfissa Berg zurückgefahren, wir haben uns telefonisch ein Taxi bestellt. Ich bin erst mit zu ihr nach Ismailowo gefahren, wir hatten unterwegs noch Verschiedenes zu bereden, anschließend bin ich zu mir nach Hause gefahren. Oder genauer gesagt, zu meiner Mutter, nach Tekstilschtschiki.«
    »Und Samstagvormittag so gegen zwölf, haben Sie da vielleicht bei Studnjow angerufen?«
    »Nein, ich habe erst am Montag bei ihm angerufen. Wieso? Warum fragen Sie mich das?«
    »Nur so«, antwortete Kolossow. »Tja, ich glaube, das ist alles . . . Eine allerletzte Frage noch, beinahe hätte ich es vergessen. Haben Sie die Absicht, dieses Restaurant in nächster Zeit wieder aufzusuchen?«
    »Wahrscheinlich werde ich mal hinfahren, um Maria zu sehen.«
    »Ich verstehe.« Kolossow blickte die Sängerin an. »Ich beabsichtige, Ihren Ex-Mann zum Verhör zu bestellen. Was ist Ihre Meinung, soll ich das tun?«
    Aurora schwieg. Dann sagte sie: »Ja und bitte so schnell wie möglich. Er kann ruhig wissen, dass . . .«
    »Dass die Miliz sich schon für ihn interessiert?« Nikita überlegte einen Moment. »Vielleicht sollten wir eine Abhöranlage an Ihr Telefon anschließen. Wenn Gussarow Sie wieder anruft und bedroht, können wir das Gespräch aufzeichnen und haben dann wenigstens direkte Beweise. Wollen Sie das?«
    »Nein«, Aurora hob erschrocken die Hände. »Das wäre kein Schutz für mich. Ich kenne Gussarow. Er hat immer gesagt: Für mich existieren keine Schranken. Und das ist die Wahrheit. Er redet nicht nur so, er denkt auch so.«
    »Hier haben Sie für alle Fälle meine Telefonnummer und die Nummer unseres Diensthabenden.« Kolossow reichte Aurora einen Zettel. »Wenn etwas ist, rufen Sie an.«
    Schweigend, ohne besonderen Enthusiasmus, steckte sie den Zettel in ihre Handtasche.
    Nikita begleitete sie zum Auto. Der Chauffeur des Privattaxis, ein älterer Mann, döste mit weit zurückgelehntem Kopf vor sich hin. Aurora nahm auf dem Rücksitz seines betagten Volvo Platz. Während sie zurück nach Moskau fuhr, ging sie im Geiste noch einmal die Fragen und ihre Antworten durch. Und plötzlich tauchte vor ihrem inneren Auge deutlich das Bild auf, das sie die ganzen letzten Tage beharrlich verdrängt hatte. Blendend weiße Fliesen, ein marmornes Waschbecken.
    Sie steht über das Becken gebeugt und starrt auf das aus dem Kran strömende Wasser. Ihr Blick ist stumpf, abwesend, als begreife sie nicht, wo sie sich befindet, als erkenne sie diesen Ort nicht. Ihr Handy liegt auf der Marmorplatte des Beckens.
    Ach ja, sie hat das Telefongespräch mit Gussarow in der Toilette des Restaurants geführt. Sie hat den Tisch verlassen und ist aus dem Saal gegangen, unter den ungläubigen Blicken der anderen. Und dann . . . dann brachte sie es einfach nicht fertig, das

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