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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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zum andern, wir haben getanzt, ich habe bezahlt und bin dann mit ihr ins Hotel gefahren, ins ›Bega‹ – dort bekommt man Rabatt, wenn man ein Zimmer erst spät am Abend nimmt. Auf der Fahrt fragt sie mich: Was machst du, wo arbeitest du, bei einer Bank? Ich habe ihr ganz ehrlich geantwortet: Ich bin Koch. Pfannkuchenbäcker in einem Restaurant. Sie wollte mir zuerst nicht glauben, aber dann wurde sie richtig böse. Ich dachte, sagte sie, du wärst ein ganz toller Hecht, du könntest einem was bieten – aber du bist bloß Koch! Das ist doch kein Beruf für Männer, in der Küche zu stehen. Ich hab mal einen Koch gekannt, dem ist die Frau weggelaufen.« Saiko grinste und blickte Poljakow direkt in die Augen. »Sie hat die gehobene kulinarische Atmosphäre in ihrem Haus nicht ertragen.«
    Poljakow schnitt schweigend, tief über die Anrichte gebeugt, frische Kräuter.
    »Diesen Studnjow habe ich auch mal mit einem Mädchen gesehen«, fuhr Saiko scheinbar zusammenhanglos fort, »eine Rothaarige, wie ein Füchschen. Aber bildschön! Jede Summe würde man zahlen, um mit so einer am Wochenende nach Serebrjany Bor oder in den Heliopark7 zu fahren. Dieser Studnjow hatte keinen schlechten Geschmack. Und er wusste, wie man ein hübsches Mädchen rumkriegt. Vielleicht war das ja der Grund, warum er sterben musste? Was meinen Sie, Iwan Grigoijewitsch?«
    »Wieso fragen Sie das mich? Passen Sie lieber auf Ihren Sirup auf. Der wird schon fest. Sie lassen den Zucker zu heiß werden, der Sesam klebt am Topf fest«, sagte Poljakow leise.
    »Der klebt nicht fest. Ich kenne mein Handwerk. Und ich koche nicht schlechter als Sie. Ich verstehe nur eins nicht.« Saiko richtete sich gerade auf. Seine blauen Augen funkelten böse. »Vielleicht hat Studnjow dafür bezahlen müssen, dass er gern mit fremden Mätressen ins Bett gegangen ist, mag sein. Aber warum wurde Jelena ermordet? Was hatte sie getan? Wem ist sie in die Quere gekommen? Welcher Schuft hat sich an ihr gerächt?«
    »Fragen Sie mich das, Lew?« Poljakow legte das Messer zur Seite.
    »Ja, Sie.«
    »Warum gerade mich?«
    »Sie wissen doch immer über alles Bescheid.«
    »Ich weiß nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll.« Pol-jakow öffnete wieder den Gewürzschrank und nahm den afrikanischen Pfeffer heraus. Er tat immer eine Prise davon in die Harissa. Das war sein kulinarisches Geheimnis. Nicht umsonst sagt man, dass in Marokko jeder echte Koch sein ganz persönliches Rezept für diese Gewürzmischung hat. »Aber wenn Sie möchten, erzähle ich Ihnen auch eine Geschichte -über einen Koch. Dieser Koch arbeitete eine Zeit lang im Nahen Osten bei einem sehr berühmten Meister seines Fachs. Anschließend war er für eine Saison in einem Hotel am Meer. Im Restaurant dieses Hotels gab es eines Tages einen sehr unerfreulichen Zwischenfall, und der Koch wurde mit Schimpf und Schande entlassen. Beinahe hätte man ihm noch sein Diplom für die orientalische Küche aberkannt und die Lizenz entzogen. Und zwar deshalb, weil nach einem Festessen in diesem Restaurant plötzlich und unerwartet ein Gast verstorben war. Die Todesursache war eine Vergiftung. Die Polizei hegte den Verdacht, dass der Koch . . .«
    »Das ist eine Lüge!«, schrie Saiko wild. »Ich weiß, welche Gerüchte über mich verbreitet werden! Aber das ist alles nur Altweibergewäsch!«
    »Aber zufällig habe ich auch gehört, wie Sie hier in der Küche Jelena Worobjowa, über deren Tod Sie so erschüttert tun, die Geschichte von den neunundzwanzig Prinzen von Marrakesch erzählt haben, die von einem bösen Schurken vergiftet wurden. Sie haben ja viele solcher Geschichten aus Marokko mitgebracht, Lew.« Poljakow lächelte spöttisch. »Und Sie sind ein ausgezeichneter Erzähler. Ich erinnere mich noch gut an Ihren seltsamen Gesichtsausdruck, wie Ihre Augen gefunkelt haben. Und dann haben Sie ganz beiläufig erwähnt, dass es am besten, am sichersten – dieses Wort, Lew, hat sich mir genau eingeprägt –, dass es am sichersten sei, das Gift nicht in den Mandelteig zu tun, sondern in die scharfe, würzige Sauce. Dann würden garantiert nicht nur die armen Prinzen dran glauben müssen, sondern auch . . .«
    »Rutsch mir doch den Buckel runter!« Polternd schleuderte Saiko Topf und Kochlöffel beiseite und verließ die Küche.
    Das heiße Gemisch aus Sesam, Zucker und Honig floss über den Tisch. Poljakow tunkte den Finger hinein und kostete. Der Sirup war nicht schlecht. Aber irgendetwas fehlte noch. Vielleicht das

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