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Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
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erschienen. Alle waren auf ihren Plätzen, von der Geschirrspülerin bis zum Chefkoch. Trotzdem öffnete das Restaurant an diesem Sonntag seine Türen nicht für Gäste. Draußen hing weiterhin ein akkurates weißes Schildchen »Heute leider geschlossen«.
    In der Küche herrschte feierliches Schweigen. Beide Köche, Iwan Grigoijewitsch Poljakow und Lew Saiko, waren beschäftigt. Poljakow öffnete den Wandschrank, in dem die Gewürze aufbewahrt wurden, und holte mehrere hermetisch verstöpselte Glasgefäße heraus: Safran, Kreuzkümmel, Paprika, gemahlenen Ingwer, aromatischen Pfeffer.
    Auf der Anrichte stand eine Flasche naturreines Olivenöl der besten Kategorie. Poljakow hielt die Flasche gegen das Licht, schnupperte, nahm dann ein Messer und begann, Knoblauch zu hacken. Er goss einen Esslöffel Öl in eine Keramikschüssel, fügte den fein gehackten Knoblauch hinzu, schaltete dann die große Küchenmaschine ein, in deren Arbeitsschüssel er bereits den am Vortag geschnittenen und eingelegten Pfeffer geschüttet hatte.
    Saiko hatte Poljakow den Rücken zugewandt, pfiff einen Song von den Beatles vor sich hin und rührte energisch mit dem Kochlöffel in dem auf kleiner Flamme stehenden Schmortopf.
    Der Chefkoch war mit der Herstellung von Harissa beschäftigt, dem berühmten orientalischen Gewürz. Der zweite Koch bereitete Sirup aus Sesamhonig zu, für eins der Hausgerichte des Restaurants, Rghaif-Pfannküchlein.
    Saiko brach als Erster das drückende Schweigen: »Ich wüsste gern, wie lange das alles noch dauern soll?«
    »In dieser Woche wird das Restaurant wieder geöffnet«, bemerkte Poljakow kurz. Er verrührte mit der Küchenmaschine die Pfeffermischung, fügte noch zwei Esslöffel Olivenöl mit Knoblauch hinzu und stellte dann die Maschine erneut an.
    »Ihre Küchenmaschine muss repariert werden«, meinte Saiko. »Der Motor heult ja entsetzlich. Ich habe von dem Krach schon seit heute früh einen Brummschädel.«
    »Der Motor ist völlig in Ordnung«, widersprach Poljakow. »Nur pflegt man in Küchenmaschinen keinen Lärmschutz einzubauen. Wenn Sie Kopfschmerzen haben, mein Bester, hätten Sie heute einfach zu Hause bleiben sollen.«
    »Zu gütig, wie Sie sich um meine Gesundheit sorgen«, erwiderte Saiko.
    Die Worte klangen gestelzt und übertrieben höflich, der Ton allerdings war voller Gift. In der stillen, geräumigen Küche des Restaurants, in der es nach Knoblauch, Olivenöl und Honig roch, ballten sich Gewitterwolken zusammen.
    »Woher haben Sie übrigens die Information, dass wir wieder arbeiten dürfen?«, nahm Saiko als Erster das Gespräch wieder auf, »Von Maria Sacharowna?«
    Poljakow gab keine Antwort. Vorsichtig goss er die sahnige Mixtur in die Keramikschüssel, fügte eine Prise Paprika und Koriander hinzu. Dann öffnete er das Gefäß mit dem Kümmel. Harissa legte er immer auf Vorrat an. Wie alter Wein musste diese Gewürzmischung abgelagert und kräftig sein.
    »Maria hat das gesagt, nicht wahr?«, fragte Saiko. Er beugte sich über seinen Sirup und vermied es beharrlich, sich zum Chefkoch umzudrehen. »Das Problem ist ja schnell gelöst worden. Hat sie jemanden geschmiert, damit man sie in Ruhe lässt?«
    »Sagen Sie mal, Lew, denken Sie wenigstens hin und wieder nach, bevor Sie den Mund aufmachen?«, fragte Poljakow.
    »Wieso, was habe ich denn Schlimmes gesagt? Wir haben Probleme. Und ohne Geld kann man heutzutage keine Probleme lösen. Da liegt der Schluss doch nahe.« Saiko hob mit einer eleganten Bewegung den Topf vom Herd. »Tja, da sind wir wohl in einen ziemlichen Schlamassel geraten . . . Oder, Iwan Grigoijewitsch?«
    »Was?« Poljakow fügte seiner Mischung vorsichtig etwas Kümmel hinzu.
    »Nie hätte ich mit so was gerechnet. Zwei Morde!« Saiko drehte sich langsam um. Seine blauen Augen schauten Poljakow direkt, ohne zu blinzeln, an. »Dieser Freitag und dieses Abendessen werden uns noch lange in Erinnerung bleiben . . . Das gegrillte Lamm ist Ihnen an diesem Abend besonders gut gelungen, Iwan Grigoijewitsch. Ja . . . Und dieser Studnjow, der Freund von Aurora . . . Sie haben ihn ja offenbar auch gekannt?«
    »Das geht Sie nichts an, Lew. Befassen Sie sich lieber mit Ihrer Arbeit«, versetzte Poljakow trocken.
    »Arbeit? Ja, unsere Arbeit. . . da fallt mir etwas ein. Mir ist neulich eine verrückte Sache passiert.« Saiko starrte Poljakow immer noch unverwandt an. »Ich hab in einem Klub ein Mädchen kennen gelernt. Eine richtige Schönheit. Sie arbeitet dort. Na, eins kam

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