Das zarte Gift des Morgens
fertig?«
»Der Teig ist fertig!«, antwortete hohl wie aus einem Fass eine Stimme aus dem an der Wand hängenden Lautsprecher.
»Dann back uns rasch ein paar, und bring sie uns schön heiß!«, kommandierte Maria. »Bei so einer Hitze muss man etwas Heißes und Süßes essen.«
»Maria Sacharowna, ich will ganz offen zu Ihnen sein.« Kolossow setzte sich auf ein kleines in einer Nische stehendes gestreiftes Sofa. »Die Lage, in der sich Ihr Restaurant befindet, ist schwierig. Und sehr unangenehm.«
»Unangenehmer geht’s wohl kaum.« Maria schnaufte unwillig. »Wir haben uns hier alle schon den Kopf zerbrochen, hin und her überlegt – was steckt dahinter? Es tut mir so Leid um Lena Worobjowa. Ich kann es mit Worten gar nicht ausdrücken. Wo finde ich jetzt, mitten in der Saison, eine solche Kellnerin?«
»Eine schwierige Lage«, wiederholte Kolossow nachdrücklich, im Ton eines Vorgesetzten. »Wer immer auch dieser Giftmörder war, aus irgendeinem Grund hat er seine Tat ausgerechnet in Ihrem Lokal begangen.«
»Verdächtigen Sie jemand Bestimmten?«, fragte Maria aufgeregt. »Doch nicht etwa einen meiner Leute?«
»Nein, gegen Ihre Angestellten liegt bislang nichts vor.«
»Haben Sie denn noch gar keinen Anhaltspunkt, warum Studnjow und Lena vergiftet wurden?«, fragte Maria ungeduldig. »Bei uns gehen schon die wildesten Gerüchte um -dass sie seine Geliebte gewesen sei und was noch alles. Einfach grässlich! Es wird spekuliert und getratscht, was das Zeug hält, und alle haben Angst. . .«
Der Kaffee wurde gebracht – sehr heiß, sehr frisch und sehr stark, mit aufgeschäumter Milch. Die plustrigen Pfannküchlein »Rghaif« schwammen in dickem, zuckersüßem, nach verschiedenen Gewürzen duftendem Sirup.
»Bitte sehr.« Maria schenkte erst Kolossow und dann sich selbst Kaffee ein.
»Danke.« Nikita nahm sich mehr aus Höflichkeit von den Pfannkuchen. Eine leichte Nervosität konnte er dabei nicht unterdrücken – kein Wunder nach allem, was geschehen war.
»Maria Sacharowna, ich bin gekommen, um mit Ihnen über Jelena Worobjowa zu reden.«
»Fragen Sie mich jetzt aber bloß nicht, von wem sie schwanger war«, sagte die Potechina rasch.
»Nein, darum geht es nicht. Obwohl ich auch das gern wüsste. Sie haben sie eingestellt und kannten Sie seit mehr als einem Jahr. Was war sie eigentlich für ein Mensch?«
»Ein anständiger. Sie hat sich nie vor Arbeit gedrückt, war ehrlich, zuverlässig, gewissenhaft und gut erzogen. Niemals hat es irgendwelche Klagen seitens der Gäste gegeben.« Maria schüttelte den Kopf. »Petja Mochow hat sie mir empfohlen, und ich bin ihm dafür sehr dankbar.«
»Was für eine Beziehung hatte Jelena zu Geld?«
»Zu Geld? Eine positive. Was soll man zu Geld sonst für eine Beziehung haben?«
»Wie viel haben Sie ihr gezahlt?«, fragte Nikita.
»Vierhundert Dollar, außerdem gab es manchmal Prämien, und dazu kamen natürlich noch die Trinkgelder, wie überall.«
»Hat sie Sie jemals um eine Gehaltserhöhung gebeten?«
»Nein.«
»Oder sich vielleicht beklagt, dass sie mit dem Geld nicht auskommt?«
»Hören Sie mal, ich habe sie sehr anständig bezahlt.« Maria schob Kolossow den Teller mit den Pfannkuchen zu. »Ein solches Gehalt für eine Frau können Sie in Moskau lange suchen. Und was das Klagen betrifft. . . Wer kommt denn heutzutage schon mit seinem Geld aus? Fragen Sie einen unserer Oligarchen, selbst der wird ihnen vorjammem, dass er zu wenig hat. Und Lena hatte eine große Familie, die lagen ihr alle auf der Tasche.«
»Das heißt, sie brauchte Geld?«
»Zu mir ist sie nicht gekommen und hat um mehr Gehalt gebeten«, sagte Maria trocken. »Bei uns ist das nicht üblich.«
»An dem Tag, als ich das erste Mal bei Ihnen war, hatte sie gar keine Frühschicht und ist trotzdem gekommen«, sagte Nikita.
»Richtig, ich habe mich auch gewundert.« Maria nickte. »Aber sie hat gesagt, sie hätte etwas holen wollen . . . was sie hier vergessen hatte.«
»Das war gelogen.« Nikita blickte Maria an.
»Gelogen?«
»Ja. Aber nicht das beunruhigt mich, Maria Sacharowna, sondern etwas anderes.«
»Und was?« Maria stellte die schon halb erhobene Kaffeetasse wieder zurück auf den Tisch.
»Gerade als ich mich anschicke, Ihre Kellnerin zu verhören, wird sie ganz plötzlich ermordet. Wie auf Bestellung.«
»Was wollen Sie damit sagen?« Maria schaute Kolossow misstrauisch an.
›Jelena hätte an diesem Tag gar nicht ins Restaurant zu kommen brauchen. Aber sie
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