Das zarte Gift des Morgens
hier ist mir so was von egal, Petja. Meine besten Jahre sind vorbei. . . Überhaupt mag ich seit einiger Zeit diese ganzen Feten nicht mehr. Ehe man sich versieht, gibt man bei Tisch seinen Löffel ab, und zwar für alle Zeiten.« Er schaute Mochow herausfordernd an und fragte unvermittelt: »Na? Was sagst du dazu?«
»Wie, was? Was soll ich dazu sagen? Was willst du überhaupt von mir?« Mochow wandte den Blick ab.
»Haben die Bullen dich verhört?«, fragte Simonow grob. »Nun red schon.«
»Du weißt sehr gut, dass sie mit mir gesprochen haben.«
»Hast du über Lena gelästert? Hör mal, wenn ich rauskriege, dass du sie in den Dreck gezogen hast. . .« Unvermittelt packte Simonow Mochow an der Jacke und riss ihm dabei fast die mexikanische Kette, von der der Kritiker sich nie trennte, vom Hals.
»Bist du verrückt geworden, lass das!« Mochow wurde rot vor Zorn. »Jetzt plötzlich fällt dir Lena ein. Ziemlich spät, findest du nicht?« Mit einiger Mühe befreite er sich aus Simonows Griff.
»Haben die Bullen dich nach unserem Abendessen gefragt?«
»Dich werden sie auch noch fragen, verlass dich drauf. Du kommst schon noch an die Reihe.«
Simonow lehnte sich im Sofa zurück. Dann griff er nach der Flasche und schenkte sich und Mochow Kognak ein – die Gläser voll bis zum Rand.
»Wie sich unser guter Saiko ins Zeug legt«, sagte er zusammenhanglos und wies mit dem Kopf auf den Bildschirm, wo Saiko mit nervöser Inbrunst die Kellnerschar dirigierte. »Der Bursche träumt wahrscheinlich nachts davon, wie er Poljakow vom Thron stoßen und sich selbst zum Herrscher über Töpfe und Kessel machen kann. Würde man ihm gar nicht Zutrauen, wenn man ihn so sieht, wie? Ob er wohl in die Moschee geht, was glaubst du?«
»Keine Ahnung«, schnappte Mochow zurück.
»Meiner Meinung nach ist das alles bloß verlogenes Getue. Der ist doch nie im Leben ein echter Moslem.« Simonow seufzte. »Aber kochen kann er wirklich gut. Mit Fantasie. Besonders die maghrebinische Küche, die originale, gelingt ihm hervorragend. Fisch-Tajin zum Beispiel.«
Mochow warf Simonow einen raschen Blick zu.
»Wovon redest du eigentlich?«, fragte er. »Wovon zum Teufel redest du?«
»Wovon? Immer von ein und derselben Sache.« Simonow schenkte sich erneut ein und kippte das Glas in einem Zug hinunter. »Die Bullen haben dich also nach dem Essen gefragt?«
»Ja, aber ich habe ihnen bis jetzt nichts gesagt.«
»Wirklich?« Simonow schien sich über irgendetwas zu wundern. »Aber das war falsch. Du hättest darüber reden sollen, unbedingt. . .« Er klopfte Mochow auf die Schulter, stand auf und schwankte in den Flur hinaus. An der Tür zum Speisesaal hielten die Kellner ihn an.
»Bitte nicht, Serafim Nikolajewitsch, in diesem Zustand können Sie dort nicht hinein«, flüsterten sie beschwörend im Chor. »Maria Sacharowna wird wieder zornig werden. Fahren Sie besser nach Hause.«
Im Saal dröhnte orientalische Musik. Blitzlichter zuckten immer wieder auf. Der Chefkoch Poljakow rollte feierlich den Serviertisch mit einem weiteren traditionellen maghrebinischen Hochzeitsmahl durch den Saal – Hammelkopf, auf Holzkohle geschmort. Der Bräutigam nahm das Gericht mit einer zeremoniellen Verbeugung aus Poljakows Händen entgegen und reichte es an seine junge Frau weiter. Das Hammelfett tropfte auf das teure Kleid von Givenchy. Die Musiker spielten donnernd zum Hochzeitstanz auf. Doch bevor der Diplomat seine Ballerina aufs Parkett führte, überreichte er ihr sein Geschenk – ein schwarzes Saffianetui, in dem ein Brillantcollier lag.
Die Gäste applaudierten. In diesem Moment brüllte Serafim Simonow, den drei Kellner nur mit Mühe auf der Türschwelle festhielten, mit seiner vom Kognak heiseren Stimme durch den ganzen Saal »Küsst euch!« – so laut, dass die Kristallgläser auf den Hochzeitstischen jammernd aufklirrten und einer der Kanarienvögel in seinem Käfig über dem Springbrunnen vor Schreck einem Herzanfall erlag.
25
Dass Juri Worobjow das Thalliumsulfat beschafft und seiner Schwester gegeben hatte, erfuhr Kalja am folgenden Morgen von Kolossow. Doch als kurz darauf Anfissa Berg bei ihr anrief und sie fragte, ob es Neuigkeiten gebe, schwindelte sie: Nein, nichts.
»Ich bin heute in der City«, sagte Anfissa nach einer kleinen Pause, »wenn du Lust hast, können wir uns zum Mittagessen treffen.«
»Gern«, willigte Katja ein.
Vorläufig wollte sie weder über Kolossows Neuigkeiten noch über Anfissas unerwarteten, fast
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