Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das zarte Gift des Morgens

Das zarte Gift des Morgens

Titel: Das zarte Gift des Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanova
Vom Netzwerk:
Gleiche bei uns«, flüsterte Maria. »Was bist du doch für ein Mistkerl. . .«
    Simonow fuhr ihr durchs Haar, strich über die dichten schwarzen Strähnen.
    »Ja, immer das Gleiche, und so wird es auch bleiben, Mariascha. Weil wir nämlich aus dem gleichen Holz geschnitzt sind. Und was die Arbeit und das Alleinsein betrifft – da brauchst du mir nichts vorzujammern. Das ist doch alles Heuchelei. Du bist noch aus jeder Klemme herausgekommen -schließlich bist du nicht auf den Kopf gefallen.«
    Maria seufzte nur und drückte ihre heiße Wange an seine Brust.
    »Wo ist eigentlich dein Medaillon?«, fragte sie plötzlich.
    »Das gibt’s nicht mehr«, antwortete Simonow. »Ich hab’s verloren.«
    »Alles verlierst du.« Maria stützte sich auf. »Wie ist das denn passiert? Du hast es doch immer so gehütet und gesagt, es sei ein Kriegsandenken. Und die Kugel darin deine eigene.«
    »Das war eine Patronenhülse, keine Kugel. Die Kugel habe ich nie besessen, nur die Narbe ist mir geblieben.«
    Maria strich mit der Hand über seine Brust: Auf der linken Seite unter den Rippen war eine tiefe Narbe.
    »Wenn ich mir vorstelle, wie man sie aus deinem Körper geschnitten hat, wird mir ganz anders«, flüsterte sie. »Wie hast du eine solche Verwundung nur überlebt? Was gibt es denn in diesem Abchasien schon für Ärzte? Warum bist du überhaupt dorthin gegangen?«
    »Weil ich ein Esel war.«
    »Und jetzt bist du klüger? Du meinst, du hast in den letzten zehn Jahren dazugelernt? Aber trotzdem solltest du einen solchen Talisman nicht verlieren. Das bringt Unglück.« Maria blickte Simonow ins Gesicht. »Mir ist auch so schon schwer genug ums Herz, ich bin so unruhig, und jetzt auch noch das. . .«
    »Wovor hast du noch Angst?«, fragte Simonow. »Das Restaurant ist doch wieder geöffnet.«
    Maria ließ sich zurück auf das Kissen fallen. Sie rutschte etwas zur Seite und zog die cremefarbene seidene Bettdecke über sich.
    »Lass uns schlafen«, sagte sie. »Ich muss morgen früh aufstehen.«

26
    Von der Vernehmung Simonows erwartete Nikita keine bösen Überraschungen. Seine Gedanken kreisten ohnehin um eine andere Neuigkeit: Am Morgen war bekannt geworden, dass Juri Worobjow auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft festgenommen worden war. Staatsanwalt und FSB hatten gemeinsam Anklage wegen Diebstahls von Thalliumsulfat aus der Wissenschaftlichen Produktionsvereinigung »Saturn« erhoben. Lessopowalow kommentierte das so: »Haben wir das Versprechen gehalten, Nikita, das wir dem Jungen gegeben haben? Ja, das haben wir. Wir haben ihn wieder frei herumspazieren lassen. Dass die Tschekisten ihn jetzt hoppgenommen haben, ist nicht unsere Schuld. Andererseits kann man die Kollegen auch verstehen. Wo hat ein Dieb zu sitzen? Hinter Gittern.«
    Auch darüber, wie man beim Verhör des Zeugen Simonow vorgehen sollte und wie man ihn am besten in ungezwungener Atmosphäre kennen lernte, hatte sich Lessopowalow schon Gedanken gemacht.
    »Wir machen kurzen Prozess, Nikita. Er wird von uns schon seit zwei Tagen observiert. Heute hat er bei der Potechina übernachtet. Gleich wird er mit seinem Rover losbrausen. Wir geben der Verkehrskontrolle Bescheid, und gleich am ersten Kontrollposten wird man ihn stoppen und seine Papiere überprüfen. Dann wird man seine Karre unter die Lupe nehmen und ihm sagen, sie stünde bei uns auf der Fahndungsliste. Und schwups, schon haben wir ihn am Haken und können mit ihm schwätzen, solange wir wollen. Wäre ja nicht das erste Mal so gelaufen, oder?«
    Für Lessopowalow waren derartige Manöver tatsächlich ganz alltäglich. Kolossow brauchte dann nur noch geduldig abzuwarten, bis man ihm Simonow zum Verhör ins Morddezernat brachte.
    Nach der Mittagspause schaute Katja bei ihm herein. Sie erzählte von dem nicht zustande gekommenen Treffen mit Mochow: Was hatte er wohl gewollt? Weshalb war er nicht gekommen? Sollte man ihn nicht besser ein zweites Mal vernehmen?
    »Gut, ich bestelle Mochow demnächst noch mal her«, versprach Nikita ihr und platzte dann unwillkürlich heraus: »Gleich wird Simonow gebracht. Wenn du möchtest, kannst du beim Verhör dabei sein. Er hat ja auf dem Friedhof offenbar einen starken Eindruck auf dich gemacht.«
    »O ja, unbedingt, das will ich nicht verpassen.« Katja wurde augenblicklich munter. »Ich ziehe mich nur eben noch um.«
    Sie ging und blieb lange Zeit verschwunden. Erst als Simonow bereits in Kolossows Büro saß, kam sie zurück. Bei ihrem Anblick verstummten die

Weitere Kostenlose Bücher