Das zarte Gift des Morgens
Artikel darüber schreiben, dabei wird ihm von Sushi übel.« Anfissa schnaubte spöttisch. »Den berühmten Fugu-Fisch wird man dort auch präsentieren. Na, den wird er wohl selbst probieren wollen, fürchte ich. Gut, ich will dich nicht länger aufhalten. Wenn ich Mochow morgen sehe, rufe ich dich an.«
Gegen Abend ballten sich endlich nach vielen Tagen und Wochen dunkle Wolken am Horizont zusammen, und in der Nacht brach ein Gewitter los – das erste in diesem dampfigen Sommer.
Maria Potechina kehrte spät nach Hause zurück. Blitze zuckten, es donnerte, und Windböen rissen Zweige und totes Laub von den in der Hitze ausgedörrten Pappeln. Aber in ihrem Schlafzimmer in dem großen neunstöckigen Haus am Lenin-Prospekt war es so ruhig wie in einer sicheren Burg. Das Doppelbett war aufgeklappt, die cremefarbenen Vorhänge fest zugezogen. Nur die Stehlampe aus Kristall brannte und die Aromakerzen auf dem kleinen Tisch. Maria saß in einem kurzen weißen Seidennachthemd auf dem Bett. Neben ihr stand ein eingeschaltetes Notebook, auf ihren Knien lag eine dicke Mappe – der Jahresabschluss des Restaurants.
Auf dem weißen chinesischen Teppich vor dem Bett saß, den Rücken an einen samtbezogenen Sessel gelehnt, Serafim Simonow – betrunken und der Schwüle wegen halb nackt. Auf seinen Knien lag eine alte, schon ziemlich zerkratzte Gitarre. Träge zupfte er an den Saiten, als wolle er den Regen draußen vorm Fenster begleiten. Er schlug einen lauteren Akkord und sang heiser ein Lied von Wyssotzki: »Sei ruhig, meine Trauer, sei ruhig, mein Kummer . . .«
»Sei du lieber ruhig, statt das arme Instrument zu malträtieren«, sagte Maria aufgebracht. »Du störst mich. Hast du wieder den ganzen Abend getrunken? Im Restaurant hättest du beinahe einen Skandal verursacht – und das vor den Ausländern! Du kannst ja immer noch nicht sicher stehen.«
»Wetten, dass ich kann?« Simonow warf den Kopf zurück. »Und wie ich stehen kann. Soll ich es dir beweisen?«
Maria hob resigniert den Blick von ihrem Jahresabschluss.
»Was soll ich nur mit dir machen?«, fragte sie. »Was?«
»Verlass mich, und basta«, sagte Simonow mit spöttischem Grinsen. »Wo ist das Problem?«
»Du gehst doch vor die Hunde, wenn ich dich verlasse. In der Gosse wirst du enden.« Maria seufzte. »Mit allem bin ich allein, alles muss ich selber tun. Ich dachte immer, wenn die Kinder groß sind, kann ich etwas verschnaufen. Aber woher . . . es ist nur noch schlimmer geworden. Unsummen von Geld verschwinden wie in einem Fass ohne Boden, im Restaurant geht es drunter und drüber. All diese Morde, und ständig die Miliz im Haus. Aber du . . . du hast nicht das geringste Mitgefühl. Ich bitte dich ja gar nicht um Hilfe. Mach mir nur das Leben nicht noch schwerer. Dich vor allen Leuten derart aufzuführen, mir die Gäste zu verschrecken . . .«
»Ach, Mariascha, mir ist alles so fade, so fade. Ich bin doch selbst schon längst nur noch eine Sache für dich. Eine Weile spielt ihr mit mir, dann macht ihr mich kaputt und werft mich weg. . .«
»Nun markier hier nicht den Bajazzo, wir sind nicht im Theater. Ich rede mit dir über ernste Dinge.«
»Das tue ich auch.« Simonow legte die Gitarre beiseite und beugte sich zum Bett hinüber. Er ergriff Marias Hand. »Weißt du, Mariascha . . . Auch wenn ich nur eine Sache bin, so kenne ich doch meinen Wert. Denk nur daran, wie viel von deinem Geld ich verprasse. Eine so wertvolle Sache wirft man nicht einfach weg, schon gar nicht als Frau von funfundvierzig Jahren . . .«
»Du bist unverschämt«, sagte Maria leise. »Unverschämt und ekelhaft.«
»Schon möglich«, stimmte Simonow zu. »So bin ich eben.«
»Lass mich los!«
Aber er ließ sie nicht los, sondern umklammerte ihre Hand noch fester. Erst küsste er ihre Finger, dann die Handflächen, dann die Arme. Er zog sich hoch, warf seinen kräftigen Körper mit einem federnden Ruck aufs Bett und umarmte Maria. Sie versuchte ihn wegzustoßen, zappelte aber immer schwächer. Schließlich rutschte die Mappe mit dem Jahresabschluss vom Bett und schlug klatschend auf den Teppich. Eine der Kerzen erlosch und verströmte dabei einen süßen Duft nach Jasmin und Agapanthus . . .
Draußen trommelte heftiger Regen auf die Dächer. Er spülte den Staub und den Schmutz fort. Maria lag nackt auf dem zerknautschten Bett, ihr Kopf ruhte auf Simonows Brust. Er hatte den Arm so fest um sie gelegt, als hätte er Angst, sie könne ihm entgleiten . . .
»Immer das
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