Das Zauberer Handbuch
doppelspaltige Seiten (auf Manuskriptseiten umgerechnet sind das etwa hundertdreißig) voll und ganz ausreichen, um einen kompletten Spannungsbogen mit allen drei Teilen zu etablieren. Mehr noch, begrenzter Raum zwingt dazu, die Geschichte ökonomisch zu erzählen und auf die wesentlichen Handlungselemente zu beschränken.
Vor diesem Hintergrund wird vielleicht verständlich, weshalb der Heftroman (in krassem Widerspruch zu dem schlechten Ruf, den er noch immer bei manch vermeintlichem Bildungshüter haben mag) in Fantasy-Lektoraten einen durchweg guten Ruf genießt. Autoren, die die »Heftromanschule« durchlaufen haben, galten und gelten gerade im phantastischen Genre als Garanten für gute und zuverlässige Arbeit – man denke an Kollegen wie Uschi Zietsch, Thomas Ziebula, Claudia Kern, Bernd Frenz und Christian Montillon, die sich auf diesem Gebiet alle einen guten Namen gemacht haben. Und nicht wenige Lektoren, die heute für große Verlage in entscheidender Position tätig sind, hatten ihre ersten »phantastischen« Kontakte mit PERRY RHODAN oder JOHN SINCLAIR.
Man muss aber keine Heftromane schreiben, um einen Einstieg in die Szene zu finden – auch disziplinierte Übung kann den gewünschten Erfolg bringen. Hilfreich ist es auch, Bücher, die einen selbst gefesselt haben, auf ihre Struktur hin zu untersuchen bzw. ihnen die Frage zu stellen, warum sie einen so trefflich unterhalten haben. Die Antworten sind oft sehr erhellend, denn man entdeckt dadurch auch seine persönlichen dramaturgischen Vorlieben, was wiederum Rückschlüsse auf die eigene Erzählweise zulässt und zeigen kann, wo evtl. Stärken und Schwächen liegen.
Nachdem wir nun wissen, wie ein packender Roman strukturiert sein sollte, wird es höchste Zeit, diese Struktur mit Inhalt zu füllen. Denn wie wir gesehen haben, beeinflussen Form und Funktion sich ja durchaus gegenseitig. Natürlich hat jeder, der eine Geschichte erzählen will, schon mehr oder minder klare Vorstellungen davon, wie seine Figuren aussehen, welchen Prüfungen sie ausgesetzt sein und welche Abenteuer sie erleben sollten. Nun kommt es darauf an, diese noch losen Motive in eine dramaturgisch sinnvolle, zur Erzählstruktur passende Reihenfolge zu bringen – und dabei helfen uns einmal mehr die guten alten Mythen.
Heldenreise
Jeder von uns weiß, was eine gute Geschichte ausmacht. Wir spüren es, wenn wir die letzte Seite eines Buches lesen und dabei ein Gefühl von Wehmut empfinden, weil die Lektüre schon vorüber ist – ebenso, wie wir das schale Gefühl beim Verlassen des Kinos kennen, weil der Film nicht das gehalten hat, was er versprach. Ganz gleich, ob es sich um ein Buch, einen Film, ein Comic oder ein Theaterstück handelt – was uns packt oder kaltlässt, hängt letztlich auch mit unseren Erwartungen zusammen. Diese sind jedoch keineswegs so unterschiedlich, wie man aufgrund unserer individuellen Verschiedenheit erwarten sollte.
Der bereits erwähnte Joseph Campbell hat nicht nur herausgefunden, dass die Mythen dieser Welt gemeinsame Grundmuster kennen, sondern er hat diese Erkenntnisse auch in Relation zu den Forschungen des Psychologen Carl Gustav Jung gesetzt, der die These vom Über-Ich vertreten hat. Dieses Über-Ich repräsentiert, kurz gesagt, den Wunsch eines jeden Einzelnen von uns, ein Held zu sein und über die Widrigkeiten dieser Welt zu triumphieren. Aus diesem kollektiven Wunsch heraus ist das globale Interesse der Menschen an Mythen zu erklären, an Geschichten, in denen Helden zu abenteuerlichen Reisen aufbrechen, die letztlich nicht nur die Bezwingung eines Gegenspielers und das Erringen eines Preises (Campbell bezeichnet es als »Elixier«) zum Gegenstand haben, sondern die Erlangung eines neuen, höheren Selbst. Wir finden die Dramaturgie des Mythos also nicht nur in Büchern oder Filmen, sondern letztlich auch in unserem eigenen Lebenszyklus, der immer wieder von Aufbruch, von Bewährung und von Neubeginn handelt. Dies ist der Grund, weshalb uns die von Campbell beschriebenen Grundmuster so nahestehen, dass wir sie im Zuge unserer Arbeit als Schriftsteller als verlässliche Hilfe benutzen können – nicht ausschließlich, aber ganz besonders in der Fantasy.
Die Heldenreise, die Campbell in seinen »mythischen Zirkel« beschreibt, hat folgende Stationen:
1) Berufung
Durch eine Störung des Alltags wird der Held zum Abenteuer gerufen oder gelockt.
In DER HOBBIT (und auch später in DER HERR DER RINGE) wird diese
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