Das Zauberer Handbuch
machen, geht es natürlich auch um das, was wir dem Leser verraten, der sich ja mit unseren Figuren identifizieren, im Sinne des Spannungserhalts aber nicht zu früh zu viel erfahren soll.
Geht es für die Helden darum, die Hintergründe eines Geheimnisses zu entschlüsseln – wie etwa für Granock, Aldur und Alannah in DIE ERSTE SCHLACHT, so empfiehlt es sich, den Kenntnisstand des Lesers zunächst dem der Helden anzupassen. Dies ist die einfachste Variante, und sie bewirkt, dass sich der Leser direkt mit den Helden und ihrer Suche identifiziert und ihre Neugier an der Aufdeckung des Geheimnisses teilt. Geht es umgekehrt für die Helden darum, ein Geheimnis zu bewahren, von dem die gegnerische Partei keinesfalls erfahren darf, so ist es am besten, den Leser möglichst früh zum Mitwisser des Geheimnisses zu machen und damit zum »Verbündeten« des Helden – so wie es Tolkien in DIE GEFÄHRTEN tut, als er Gandalf Frodo vom Meisterring erzählen lässt und damit auch uns von der wechselvollen Vergangenheit Mittelerdes berichtet.
Allerdings kann es der Spannung auch dienlich sein, im Zuge der Handlungsentwicklung die Wissensperspektive zu wechseln und z.B. den Schurken der Geschichte einige Dinge ausplaudern zu lassen. Wenn dann der Leser mehr weiß als der Held, geht dies zwar auf Kosten der Identifikation, kann jedoch die Spannung beträchtlich steigern, wie Alfred Hitchcock im Film unzählige Male bewiesen hat. Seine legendäre Definition von Suspense setzt den Zuschauer über die im Hintergrund tickende Bombe in Kenntnis, während der Held nichts ahnend das Gebäude betritt. Dass er den Zuschauer damit zum voyeuristischen Mitwisser des Verbrechens und damit gewissermaßen zum Komplizen macht – beim berühmten Duschenmord in PSYCHO wird das ganz besonders deutlich –, hat Hitchcock wiederholt die Kritik der Sittenwächter eingetragen. Aber er hat beispielhaft vorgemacht, wie man durch gezielte Wissensvergabe Spannung erzeugen kann.
Für den weiteren Verlauf unseres Romans ist wichtig, dass sich die unterschiedlichen Kenntnisstände von Leser und Held im Lauf der Handlung, spätestens jedoch an deren Ende wieder ausgleichen. Andernfalls wird sich entweder der Leser am Ende dumm vorkommen oder die Hauptfigur in einem ziemlich seltsamen Licht dastehen – beides führt beim Leser zu einem zwiespältigen Gefühl. Ausnahmen gibt es natürlich, denn genau dieser Effekt kann beabsichtigt sein. Aber wie gesagt würde ich solche Experimente nicht gleich beim Erstlingswerk wagen, sondern stets erst zu zeigen versuchen, dass man die Grundprinzipien des erzählerischen Handwerks beherrscht.
Charaktere und Archetypen
Zu diesen Grundprinzipien gehören – speziell auf die Fantasy bezogen – natürlich auch die Archetypen, mit denen wir es im Grunde immer wieder zu tun haben.
Der Begriff des Archetyps in seiner Grundform geht zurück auf Carl Gustav Jung, einen der Pioniere der Psychoanalyse, der, ähnlich wie später Joseph Campbell, Mythen aus verschiedenen Epochen und Gegenden dieser Welt auf Gemeinsamkeiten hin untersuchte. Anders als bei Campbell stand bei ihm aber nicht die Mythenforschung im Mittelpunkt, sondern die Suche nach allgemeingültigen Bildern, die zum gemeinsamen Erbe der Menschheit gehören – Jung nennt es das »kollektive Unterbewusste« – und deshalb überall auf der Welt in den Träumen der Menschen auftauchen. Es gelang ihm tatsächlich, solche Bilder festzustellen und sie in Verbindung zur individuellen Persönlichkeitsentwicklung des Menschen zu bringen, und er nannte sie »Archetypen« nach griech. archos (alt) und topos (Motiv, Thema).
Campbell, der sich in seinen Forschungen immer wieder auf C.G. Jung beruft, hat den Begriff konsequent weiterverwendet und ausgebaut – bei ihm bezeichnet er die unterschiedlichen Figuren, die in den Mythen dieser Welt immer wieder vorkommen, unabhängig von geschichtlicher, geografischer oder religiöser Prägung. Vielmehr werden die Archetypen der Mythen nämlich durch ihre Funktion innerhalb der Geschichte geprägt. Da die Fantasy eng an die Mythen gebunden ist, lebt sie auch mehr als andere Genre von solchen Archetypen, von denen Christopher Vogler in Ableitung und Erweiterung von Campbells Werk die sieben wichtigsten wie folgt benennt:
Held
Mentor
Wächter
Herold
Gestaltwandler
Schatten
Trickser
Ehrlich gesagt bin ich nicht ganz einverstanden mit dieser Typisierung, da z.B. der von Jung übernommene Begriff des Schattens nicht
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